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Der IVN feiert sein 20jähriges Jubiläum

Kinderarbeit Indien - www.123rf.com - Zvonimir Atletic

Ein guter Anlass Bilanz zu ziehen. Anfang 1999 wurde der Internationale Verband der Naturtextilwirtschaft (IVN) gegründet. Damals waren einige Unternehmen überzeugt, dass der Einsatz einzelner Akteure nicht ausreichen würde, um die Textilwirtschaftsräder in Richtung Nachhaltigkeit zu drehen. Heute sind 85 Unternehmen Mitglied im IVN. Doch der Reihe nach, denn eigentlich hat alles schon früher angefangen.

Startschuss mit vier Unternehmen

Der IVN wurde nämlich aus dem Arbeits­kreis Natur­textil (AKN) heraus gegründet, den es bereits seit 1989 gab. Die folgen­schweren Umwelt­ka­ta­stro­phen Mitte bis Ende der 80er führten zu massiven Prote­sten von Umwelt­ak­ti­vi­sten. Das Reak­tor­un­glück im ukrai­ni­schen Tscher­nobyl gilt als eine der schlimm­sten Umwelt­ka­ta­stro­phen welt­weit und bei der Havarie der Exxon Valdez ergossen sich 40.000 Tonnen Rohöl ins Meer – um nur die zwei größten Unglücke zu nennen. Der deut­sche Verbrau­cher war 1998 für Umwelt­themen sensi­bi­li­siert. Bis zu diesem Zeit­punkt wollten die Pioniere der nach­hal­tigen Textil­wirt­schaft vor allem gesunde Klei­dung ohne Pesti­zide, giftige Farben und Form­aldehyd herstellen.  In den 70er-Jahren schreckte eine Strumpf­far­ben­all­ergie Indu­strie und Behörden auf, 1984 wurde Form­aldehyd als krebs­er­re­gend einge­stuft. Dies und einige andere Schreckens­nach­richten aus der Fach­presse gab den Pionieren Recht.

Nach­hal­tig­keits­aspekte wie nach­wach­sende Rohstoffe, Gewäs­ser­schutz, Arten­viel­falt, Tier­schutz und beson­ders Menschen­rechte rückten Ende der 80er in den Fokus von Politik und Öffent­lich­keit. Vier Hersteller von gesund­heits­ver­träg­li­cher Beklei­dung aus Natur­fa­sern hatten sich daraufhin vorge­nommen, umfas­sende Stan­dards für nach­hal­tige Texti­lien zu formu­lieren. Sie grün­deten den Arbeits­kreis Natur­textil (AKN) und machten sich zum Ziel, Verbrau­cher und Händler aufzu­klären und die Vermark­tung von „guten“ Texti­lien voran­zu­treiben. Inhalt­lich befasste sich der AKN in den folgenden Jahren beispiel­weise mit dem biolo­gi­schen Anbau von Baum­wolle ohne Pesti­zide, der Quali­täts­stei­ge­rung bei der Pflan­zen­fär­bung, Krank­ma­cher in Klei­dung oder der Über­le­gung, wie Öko-Design aussehen kann.  Bis 1991 war der AKN eher ein loser Verband von 12 Mitglieds­un­ter­nehmen, dann erfolgte der Eintrag ins Vereinsregister.

Maßstäbe setzen von Anfang an

Bereits kurz vor dieser dann offi­zi­ellen Grün­dung hatte der AKN seine ersten Richt­li­nien für Natur­tex­ti­lien erar­beitet. Begriffe wie „umwelt­freund­lich“, „natur­be­lassen“, „Bio“ oder „Öko“ wurden von keiner gesetz­li­chen Rege­lung defi­niert, die EG-Kommis­sion begann gerade, sich mit der Harmo­ni­sie­rung dieser Begriffe zu befassen. Das Regel­werk war also abso­lutes Neuland. Viele Begriffe mussten also zunächst defi­niert werden. Was sind Natur­tex­ti­lien, was gilt als reine Natur­fa­sern, wann gilt ein Textil noch als unbe­han­delt welche Ausrü­stungen sind akzep­tabel, welche Rück­stände können über­prüft werden? Was aber klar war – und sogar in den damals zwei Seiten langen Richt­li­nien fest­ge­halten wurde – war, dass die Krite­rien nicht voll­ständig waren und weiter­ent­wickelt werden sollten. Nach Hinzu­ziehen verschie­dener Experten und einige Sympo­sien später war es dann 1994 soweit: Der AKN stellte die Richt­line für die Mitgliedschaft im Arbeits­kreis Natur­textil vor, zu deren Einhal­tung sich die Mitglieder verpflichten. Die Beschaf­fen­heit von Rohstoffen, deren Verar­bei­tung und Vorbe­hand­lung, die Verede­lung und Färbung von Textil­pro­dukten und Krite­rien für Rück­stände im Endpro­dukt waren in dieser Richt­linie geregelt.

In jedem Ende liegt ein neuer Anfang

Mehr und mehr Händler und Vorstu­fen­be­triebe brachten sich Ende der 80er in den AKN ein, konnten jedoch keine Voll­mit­glieder werden, da dies satzungs­gemäß nur Herstel­lern von Natur­tex­ti­lien erlaubt war. Es war damals – genau wie heute – jedoch wichtig, dass möglichst viele Unter­nehmen im AKN Mitglied wurden. Je mehr Markt­macht ein Unter­neh­mens-Zusam­men­schluss hat, desto mehr Einfluss kann er nehmen und umso besser wird er gehört. Um den Verband zu öffnen, wurde 1999 der Inter­na­tio­nale Verband der Naturtextilwirtschaft gegründet.

 

Schon kurz nach seiner Grün­dung führte der IVN die Qualitäts­zeichen „Natur­textil BETTER“ und „Natur­textil BEST“ ein. Der stren­gere BEST Stan­dard sollte das tech­nisch höchste Maß an Nach­hal­tig­keit aufzeigen, BETTER sollte zerti­fi­zierten Unter­nehmen eine reali­sti­sche Markt­fä­hig­keit für ihre Produkte ermög­li­chen. Die Mitgliedschaft im IVN war nun auch nicht mehr an die Einhal­tung einer Richt­linie gebunden.

Beide Qualitäts­zeichen bewerten bis heute konse­quent jeden Arbeits­schritt der Liefer­kette bis zum fertigen Produkt. Der Fokus liegt nicht mehr auf der „Gift­frei­heit“ des Endpro­duktes. Neben der ökolo­gi­schen Arbeits­weise der Unter­nehmen wird auch die Einhal­tung von Sozi­al­stan­dards und die unter­neh­me­ri­sche Verant­wortung jedes Unter­neh­mens geprüft und bewertet.

Einige Händler unter den IVN Mitglie­dern, die nicht nur textile Mode im Sorti­ment hatten, sondern auch Leder­waren anboten, waren wegen einer Leder-Richt­linie an den Verband heran­ge­treten. Der IVN Vorstand sah mit einer neuen Produkt­gruppe im Siegel-Port­folio die Möglich­keit poten­zi­elle, neue Unter­nehmen als Mitglieder zu gewinnen. So erar­bei­tete der IVN Richt­li­ni­en­aus­schuss ein Qualitäts­zeichen für ökolo­gisch erzeugte Leder­waren – IVN NATUR­LEDER. Die ersten zerti­fi­zierten Produkte gingen 2009 auf den Markt.

Internationalität und Erfolg

Natür­lich war es das Ziel des IVN, seine drei Qualitäts­zeichen breit im Mark zu veran­kern. Der Schul­ter­schluss mit drei inter­nationalen Anbau­ver­bänden sollte ein inter­na­tional gültiges Siegel mit harmo­ni­sierten Textil-Richt­li­nien hervor­bringen. 2002 grün­dete der Verband zusammen mit der Soil Asso­cia­tion (England), der Organic Trade Asso­cia­tion (USA) und der Japan Organic Cotton Asso­cia­tion die “Inter­na­tional Working Group on Global Organic Textile Stan­dard“ (IWG), um eine welt­weit gültige Richt­linie für die Herstel­lung von Fasern aus Bio-Natur­fa­sern zu schaffen. Der Global Organic Textile Stan­dard (GOTS) sollte welt­weit einheit­liche und trans­pa­rente Verbrau­cher­si­cher­heit bieten und inter­na­tio­nale Handels­hemm­nisse für die Natur­tex­til­branche abbauen.

Im Mai 2005 erschien dann die erste Version des inter­nationalen Stan­dards. Die IVN BETTER Richt­linie, die Grund­lagen für das neue Regel­werk, wurde in den GOTS über­führt. Bis heute stellt er den nied­ri­geren der beiden IVN Stan­dards dar. Inzwi­schen ist der GOTS eine eigene gemein­nüt­zige GmbH und hat Erfolgs­ge­schichte geschrieben. Mit 6.000 zerti­fi­zierten Unter­nehmen in 64 Ländern wird der Stan­dard von Politik und der breiten Öffent­lich­keit wahr­ge­nommen und von NGO und Bewer­tungs­platt­formen als anspruchs­voll, konse­quent und glaub­würdig empfohlen.

IVN BEST und NATUR­LEDER sind mit ihren sehr hohen Anfor­de­rungen bei Presse, Politik und Wirt­schaft eben­falls bekannt und geschätzt, Verbrau­cher kennen die beiden Siegel hingegen weniger. Zu wenige Produkte mit BEST/NATURLEDER Kenn­zeich­nung sind im Markt, um wahr­ge­nommen zu werden. Erfolg­reich sind die Stan­dards dennoch. BEST ist der am besten bewer­tete Textil­stan­dard auf vielen Platt­formen, die Siegel für nach­hal­tige Produkte verglei­chen. In poli­ti­schen Initia­tiven wie dem Bündnis für nach­hal­tige Texti­lien oder beim geplanten Meta­siegel Grüner Knopf dient BEST als Richt­schnur für das höchst mögliche Nach­hal­tig­keits­ni­veau bei Produkt­zer­ti­fi­zie­rungen von Texti­lien. Die derzeit knapp 60 zerti­fi­zierten Unter­nehmen zeigen seit vielen Jahren, dass man auch oder gerade mit höchst nach­hal­tigen Produkten erfolg­reich am Markt agieren kann. Auch NATUR­LEDER rangiert in der öffent­li­chen Bewer­tung als bester Stan­dard und wird durchweg als “sehr empfeh­lens­wert” bewertet. Im IVN sind inzwi­schen knapp 15% der Mitglieder Hersteller oder Händler von Leder oder Lederwaren.

Fachkompetenz als Türöffner

Während der inhalt­liche Fokus des IVN nach seiner Grün­dung lange Zeit der Einsatz von umwelt-und gesund­heits­ver­träg­li­chen Chemi­ka­lien war, sind die Nach­hal­tig­keits­pa­ra­meter heute sehr komplex und die einzelnen Heraus­for­de­rungen viel­fältig. Die Fach­kom­pe­tenz des Verbandes umfasst inzwi­schen artge­rechte Tier­hal­tung und ökolo­gi­schen Faser­anbau, Textil- und Leder­che­mi­ka­lien, Human­to­xologie, Boden- und Gewäs­ser­schutz, Arten­viel­falt, Biodi­ver­sität, Tier­schutz, Abbau­bar­keit, Recy­cling, Menschen­rechte, Arbeits­si­cher­heit, Existenz­si­chernde Löhne, Vega­nismus, Mikro­pla­stik und vieles mehr.

Nach 20 Jahren hat der Verband heute die meisten dieser Themen bei der Presse, der Politik und in der Öffent­lich­keit kompe­tent besetzt. Gerade in den letzten Jahren ist er ein wich­tiger Ansprech­partner für Nach­hal­tig­keits­fragen seitens der Medien geworden. Für das Bundes­mi­ni­ste­rium für Entwick­lungs­zu­sam­men­ar­beit, das Umwelt­mi­ni­ste­rium und das Umwelt­bun­desamt gilt der IVN seit einigen Jahren als Vertre­tung für die nach­hal­tige Textil- und Leder­wirt­schaft in Deutsch­land. Sowohl im Bündnis für Nach­hal­tige Texti­lien als auch bei der Entwick­lung des staat­li­chen Meta­sie­gels Grüner Knopf konnte und kann der Verband im Sinne seiner Mitglieder an vorder­ster Stelle Einfluss nehmen.

 

Verbandszweck im Wandel

Im Lauf der letzten 10 Jahre hat sich der IVN vom Stan­dard­geber hin zu einem Dienst­lei­stungs­ver­band entwickelt. Der Berufs­ver­band berät seine Mitglieder heute beispiels­weise zu Zerti­fi­zie­rungs­fragen, Beschaf­fung, unter­neh­me­ri­schem poli­ti­schen Enga­ge­ment und seit Anfang des Jahres auch zur Betei­li­gung an Entwick­lungs­pro­jekten. Eine enge Zusam­men­ar­beit mit Bera­tern oder Erfah­rungen aus den eigenen Reihen machen dies möglich.

Der Verband ist selbst zum Zerti­fi­zierer geworden, zumin­dest die Zerti­fi­zie­rung für NATU­LEDER führt der IVN seit Anfang des Jahres selbst durch. Fach­ver­an­stal­tungen, Pres­se­ar­beit für die einzelnen Mitglieder und ganz aktuell ein groß ange­legtes Projekt rund um nach­hal­tige Verpackungen sind Beispiele für weitere Dienstleistungen.

 

Was sich nicht geändert hat

Bereits zu AKN Zeiten konnte man wahr­nehmen, dass die einzelnen Mitglieder sich sehr freund­schaft­lich begegnet sind und meistens den Umwelt­ge­danken vor das Konkur­renz­denken gestellt haben. Auch wenn der IVN von vier auf 85 Mitglieder gewachsen ist, kann man diesen Pionier­geist nach wie vor deut­lich spüren. Der Gemein­schafts­ge­danke ist zur profes­sio­nellen Koope­ra­tionen geworden, das Handeln der fami­liären Team­player herrscht noch immer vor. 

Bei Mitglie­der­ver­samm­lungen und Verbands­ver­an­stal­tungen wird hart gear­beitet,  aber beim Rahmen­pro­gramm haben alle Spaß und bei wein­se­ligen Kamin­ge­sprä­chen werden schonmal die großen Verbands-Räder gedreht.