Die Geschäftsstelle des Internationalen Verbands der Naturtextilwirtschaft (IVN) im Gespräch mit Nicole Pälicke von People Wear Organic. Sie wünscht sich von der Naturtextilbranche, dass wir die Chance nach der Krise nutzen, um unsere Nische im Markt zu vergrößern.
IVN Geschäftsstelle: Inzwischen haben wir einen Monat Corona-Krise hinter uns. Was bedeutet das konkret für Sie und Ihre Partner?
Nicole Pälicke: Für PWO und sicherlich alle Marken, Hersteller und Händler ist die aktuelle Krise eine besondere Herausforderung, die es zu meistern gilt. Wir erleben ein bemerkenswertes und starkes WIR-Gefühl sowohl bei unseren Herstellern, die teilweise mit unterbrochenen Lieferketten umgehen müssen aber auch bei Händlern, deren Läden nun mehrere Wochen geschlossen sein mussten. Gemeinsam suchen und finden wir tragbare Lösungen, damit wir die textile Kette vital halten können. Dafür braucht es ein Miteinander ALLER Beteiligten. Und natürlich hoffen alle auf eine baldige Rückkehr zur Normalität.
IVN Geschäftsstelle: Man liest derzeit viel über unternehmerische Verantwortung. Wie kann PWO jetzt am besten positiven Einfluss auf die Existenzsicherung der Arbeiter vor Ort nehmen?
Nicole Pälicke: Unser Netzwerk ist klein und sehr sorgfältig ausgewählt. Mit allen Partnern arbeiten wir schon viele Jahre zusammen. Wir sind in engem Austausch miteinander über die Situation der Menschen vor Ort. Die jeweiligen Unternehmer*innen bestätigen gerade jetzt unsere Einschätzung und Haltung, indem sie z.B. Lohnfortzahlungen leisten, obwohl die Produktion still steht. Wichtig ist es jetzt vor allem, zu den gemachten Zusagen, Partnerschaften und Aufträgen zu stehen und Lösungen für die anstehenden Lieferungen zu finden. Dafür sind wir sehr dankbar. Wir sind sicher, dass wir aufgrund der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit unseren Partnern gestärkt aus der Krise gehen. Das zeigen die bestehende Kommunikation und getroffenen Verabredungen schon jetzt.
IVN Geschäftsstelle: Wenn diese Woche der stationäre Einzelhandel wieder öffnen kann – was kommt auf die Branche zu, wie geht es weiter?
Nicole Pälicke: Die Regierung hat ab dem 20. April eine teilweise Öffnung unter strengen Hygienemaßnahmen gestattet. Das ist ein gutes Signal für die Menschen und die Läden, aber die Frequenz wird sicherlich anfangs eher niedrig sein. Es bleibt abzuwarten, ob es später, wenn alle Textilflächen geöffnet sind, zu einer Preisschlacht kommt, um die Warenbestände aufgrund der verlorenen gegangenen Umsätze zügig abzubauen oder nicht.
Besser wäre es, die Saison zu verlängern, dem Sommerverlauf entsprechend, und die Herbst-Kollektionen später in den Handel zu bringen. Diesbezüglich sind der Handel und auch die Verbände gefragt, in den Diskurs zu gehen. Denn dies ist ein grundsätzliches, aber auch komplexes Thema. Durch die Verschiebung entstehen in der Produktion perspektivisch ggf. wieder Leerläufe. Statements oder Ankündigungen einzelner Akteure helfen da nicht weiter. Der Trend, dass Konsumenten immer mehr online einkaufen, wird sich wohl weiter beschleunigen. Perfekt kuratierte stationäre Sortimente und Erlebnisse werden aber stark sein bzw. bleiben.
IVN Geschäftsstelle: Sehen Sie Indikatoren dafür, dass innerhalb der Textilwirtschaft die nachhaltigen Player besser aufgestellt sind als die konventionellen?
Nicole Pälicke: Ja, das sehen wir. Zum einen sind die Produkte auf Langlebigkeit sowohl in Qualität als auch Saisonalität angelegt. Zum anderen erfüllen die partnerschaftlichen und fairen Arbeitsweisen viel besser den stärker werdenden Konsumentenwunsch nach Nachhaltigkeit, Transparenz und Fairness in der Herstellung. Wir gehen davon aus – und hoffen auch – , dass die Krise den künftigen Konsum weiter dahingehend beeinflussen und sich den nachhaltigen Playern neue Chancen eröffnen werden.
Es ist nach wie vor zu viel qualitativ minderwertige bzw. austauschbare Ware ohne eigenes Profil im Handel, für die sich der Konsument nicht wirklich interessiert und die nur preisreduziert vermarket werden kann. Die konventionellen Player haben über Jahrzehnte den Werteverlust im Textilkonsum maßgeblich selbst getrieben. Ein „weiter so“ der einkaufenden Entscheider ohne adäquaten Raum für nachhaltige Produkte halten wir für nicht angemessen, auch weil es einen Trend zu sehr gezieltem – also bedeutend weniger Konsum – in Sachen Mode gibt. Auf dem Weg werden wir sicherlich leider auch noch Handelsformate und Marken wegfallen sehen. Die Krise wird hier zum Katalysator für bereits vorher schwächelnde Unternehmen.
IVN Geschäftsstelle: Die Naturtextilbranche setzt weiterhin auf Solidarität, wann immer es möglich ist. Was wünschen Sie sich von Ihren Partnern aber auch von Konkurrenzunternehmen?
Nicole Pälicke: Von der Naturtextilbranche wünsche ich mir, dass wir die Chance nach der Krise nutzen, um unsere Nische im Markt zu vergrößern. Wir sollten gemeinsam stark am Markt auftreten und unsere Werte und Stärken dem Endverbraucher vermitteln können. Wir müssen an Einfluss gewinnen, damit unsere Erde als Lebensgrundlage für uns und unsere Folgegenerationen lebenswert bleibt. Wir hoffen, dass die Konsumenten ihren Ankündigungen in Umfragen Taten folgen lassen und mehr nachhaltige Naturtextilien kaufen.
© Foto: People Wear Organic GmbH
Abdruck des Textes honorarfrei gegen Beleg.