Heike Hess (IVN Geschäftsstelle) hat mit Rolf Heimann, dem Kopf der hessnatur Stiftung über die Zukunft von Nachhaltigkeit gesprochen. Mit seiner 30jährigen Erfahrung ist der Branchenpionier überzeugt davon, dass uns ein Paradigmenwechsel bevorsteht.
IVN Geschäftsstelle:
Herr Heimann, man liest manches über die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Nachhaltigkeitsdiskussion. Was denken Sie: Wie wird die Diskussion zum ethical business zukünftig aussehen?
Rolf Heimann:
In Zukunft wird es noch wichtiger sein, nicht zu kurz zu denken. Irritierend finde ich solche Ankündigungen wie die, die Produktionen wieder nach Deutschland zu holen. Dabei ist es unter Nachhaltigkeitsaspekten doch wichtiger wie produziert wird, nicht wo produziert wird. Auch eine bengalische Näherin hat ein Recht auf Arbeit vor allem jetzt in der Krise, da die Situation in den südlichen Ländern verheerend ist, wie wir wissen. Nachhaltigkeit in globalen Lieferketten ist derzeit natürlich insgesamt eine riesige und komplexe Diskussion. Spannend wird sein, wie breit wir sie führen und wie reflektiert wir mit unseren jetzigen Erfahrungen handeln.
IVN Geschäftsstelle:
Also wird sich Ihrer Meinung nach der Nachhaltigkeitsbegriff tatsächlich verändern? Um welche Aspekte wird es gehen?
Rolf Heimann:
Wir arbeiten im „Think Tower“ der Stiftung mittels einer Matrix kontinuierlich an der Begrifflichkeit für holistische Nachhaltigkeit. Dieser „Holistic Approach“ besteht zur Zeit aus drei Themenfeldern mit Produkt, Unternehmen und KonsumentIn; diese Themenfelder verknüpfen wir mit den Säulen Produktentwicklung, nachhaltige Produktion, Arbeitsbedingungen, Fair- Trade Relations, Unternehmenskultur, Geschäftsmodelle und Nachhaltiger Konsum. Innerhalb dieser Säulen gibt es dann etliche Indikatoren, anhand derer man eine „Individuelle Definition von Nachhaltigkeit“ vornehmen kann – es gibt nicht „die“ Nachhaltigkeit. Aspekte wie Transparenz und Partizipation werden sicherlich neben Kreislauffähigkeit an Bedeutung gewinnen. Schauen Sie auf unserer Website, dort ist es anschaulicher erläutert: http://hessnatur-stiftung.org
IVN Geschäftsstelle:
Ist das der Paradigmenwechsel in der textilen Welt, von dem Sie schon seit längerer Zeit sprechen?
Rolf Heimann:
Zum jetzigen Zeitpunkt weiß niemand, wie schnell sich die Branche erholen wird – wir müssen zudem akzeptieren, dass es sich hier um einen Prozess handelt. Und Prozesse brauchen ihre Zeit. Aber man sollte jetzt ganz bewusst eine unternehmerische Entscheidung für die Nachhaltigkeit der Marke fällen. Die gute Nachricht dazu: Nachhaltigkeit ist ein Wertetreiber!
IVN Geschäftsstelle:
Das sind deutliche Worte. Wie fließen diese Erkenntnisse in die Arbeit der hessnatur Stiftung ein?
Rolf Heimann:
Wir haben ein Tool entwickelt, mit dem wir Brands und Unternehmen zu einem individuellen Nachhaltigkeitskonzept verhelfen. Nach einem Aufnahmeprozess und einem gemeinsamen Workshop erstellen wir ein maßgeschneidertes Nachhaltigkeitskonzept für die Marke. Es berücksichtigt verschiedene Anforderungen, z.B. Erwartungen von Konsumenten, Kompatibilität mit Siegeln wie dem Grüner Knopf, RSL und MRSL Anforderungen etc. Das wird sehr gut angenommen und ist tatsächlich auch in diesen Zeiten sehr erfolgreich, weil es simplifiziert, preiswert ist und sehr praktikabel.
Wir machen die Erfahrung, dass viele Firmen diese Zeit nutzen, um sich im Bereich Nachhaltigkeit besser aufzustellen. Das ist doch eine gute Nachricht!