Kinderarbeit in der Textil- und Lederindustrie
Mädchen in einer Spinnerei
Kinderarbeit früher und heute
Kinderarbeit ist kein Phänomen der modernen Globalisierung – sie hat eine lange Geschichte und war bis zum 18. Jahrhundert hauptsächlich in ländlichen Gesellschaften weltweit üblich. Kinder halfen auf Feldern, im Handwerk oder im Haushalt. Genaue Zahlen gibt es kaum, denn Arbeit galt als Teil des Familienlebens und wurde statistisch nicht erfasst.
Mit der Industrialisierung im 18. und 19. Jahrhundert änderte sich die Art der Kinderarbeit grundlegend: Kinder wurden zunehmend in Fabriken, Bergwerken und Textilbetrieben eingesetzt – oft unter extrem gefährlichen, gesundheitsschädlichen Bedingungen und für sehr niedrige Löhne. In Großbritannien beispielsweise arbeitete um 1840 etwa die Hälfte aller Kinder aus Arbeiterfamilien in Fabriken, Bergwerken oder Spinnereien.
In Europa und Nordamerika führte dies im Laufe des 19. Jahrhunderts zu ersten Reformbewegungen, Schulgesetzen und Arbeitsschutzverordnungen, die Kinderarbeit schrittweise einschränkten. (Cunningham, 2000). Im Jahr 1839 trat in Preußen das erste deutsche Fabrikgesetz in Kraft, das die Arbeit von Kindern unter neun Jahren in bestimmten Industriebetrieben verbot und Arbeitszeiten für ältere Kinder regulierte. (Bundeszentrale für politische Bildung). Die Gründung der International Labour Organization (ILO) im Jahr 1919 markierte einen weiteren Meilenstein: Erstmals wurde Kinderarbeit als internationales Problem anerkannt und in den Fokus multilateraler Arbeits- und Sozialpolitik gestellt. (ILO)
Aktuelle Lage zu Kinderarbeit
Trotz internationaler Bemühungen ist Kinderarbeit auch im 21. Jahrhundert ein weit verbreitetes Problem. Laut einem gemeinsamen Bericht von ILO und UNICEF aus 2021 arbeiteten weltweit rund 152 Millionen Kinder im Alter zwischen 5 und 17 Jahren (ILO und UNICEF). Besonders alarmierend: etwa 73 Millionen von ihnen verrichteten gefährliche Arbeiten. Sie kommen z. B. in Kontakt mit giftigen Chemikalien oder verrichten körperlich schwerer Arbeit. Die meisten Kinderarbeiterinnen und ‑arbeiter – rund 71 % – sind in der Landwirtschaft tätig, oft im Baumwollanbau, der als erste Stufe der textilen Kette eine zentrale Rolle spielt. 12% der Kinderarbeiterinnen sind in der Industrie tätig, dazu gehört auch die Textilproduktion.
Ein Blick auf die langfristige Entwicklung zeigt zwar Fortschritte: Im Jahr 2000 lag die Zahl der arbeitenden Kinder noch bei 246 Millionen, bis 2016 konnte sie auf 152 Millionen gesenkt werden. Seitdem stagniert der Rückgang jedoch – und in einigen Regionen ist sogar ein Anstieg zu verzeichnen. Gründe dafür sind unter anderem die wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie, anhaltende politische Instabilität, bewaffnete Konflikte sowie wachsende Armut, insbesondere in ländlichen Regionen. Diese Faktoren zwingen viele Familien dazu, ihre Kinder zur Arbeit zu schicken, um das Überleben zu sichern – oft auf Kosten von Bildung und Kindheit. Es gibt leider keine exakte globale Zahl zur Kinderarbeit speziell in der Textilindustrie.
Beispiel Sumangali – Ausbeutung in Tamil Nadu
„Sumangali“ ist tamilisch und bedeutet frei übersetzt „glückliche Braut“. Hinter dem Begriff verbirgt sich eine systematische Form von Ausbeutung, die insbesondere in der südindischen Textilindustrie praktiziert wird – vor allem im Bundesstaat Tamil Nadu.
Unverheirateten Mädchen zwischen 13 und 18 Jahren wird versprochen, dass sie durch ihre Arbeit in einer Spinnerei eine Mitgift verdienen, um später verheiratet werden zu können. Sie stammen meistens aus armen, ländlichen Familien, oft aus der Dalit-Kaste (Unberührbare) und haben nur geringe Bildungschancen und kaum wirtschaftliche Perspektiven. Familien wird ein scheinbar attraktives Angebot gemacht: Die Mädchen sollen für drei bis fünf Jahre in einer Textilfabrik arbeiten und erhalten neben einem geringen Monatslohn am Ende eine einmalige Abschlusszahlung – häufig als Mitgift deklariert. Diese liegt laut FEMNET e.V. zwischen 500 und 1.000 Euro – bei einem Monatslohn von teilweise unter 30 Euro (FEMNET).
In der Praxis sieht die Realität oft anders aus: Die jungen Arbeiterinnen arbeiten 12 Stunden täglich, 6 bis 7 Tage pro Woche, haben selten Kontakt zur Außenwelt und leben in betriebseigenen Unterkünften, die sie nur unter Aufsicht verlassen dürfen. Viele von ihnen berichten von schlechter medizinischer Versorgung, schlechter Ernährung, psychischer Belastung und teils sexueller Belästigung durch männliche Aufseher (Human Rights Watch).
Die Löhne der Mädchen sind äußerst gering. Offizielle Arbeitsverträge existieren oft nicht, und die versprochene Mitgiftzahlung wird häufig ganz oder teilweise einbehalten – etwa wegen angeblicher Regelverstöße, Krankheitsausfällen, Arztkosten oder vorzeitiger Kündigung. Für viele Mädchen endet das System in Enttäuschung und mit gesundheitlichen oder seelischen Schäden.
Es gibt ca. 2.200 Spinnereien in Tamil Nadu mit rund 250.000 jungen Frauen als Beschäftigte, 80% davon werden unter dem Sumangali System ausgebeutet.
Auch wenn die Spinnereien beim Anwerben heute wegen der internationalen Kritik den Begriff heute durch „Camp Labour System“ ersetzen – die Arbeitsbedingungen haben sich nicht wirklich geändert. Trotz des öffentlichen Drucks und gesetzlicher Verbote bleibt das System in modifizierter Form weiter bestehen – etwa indem die Arbeit offiziell als „Ausbildung“ oder „Praktikum“ deklariert wird.
Familie auf dem Baumwollfeld
Beispiel Baumwollanbau -
Realität zwischen Notwendigkeit und Ausbeutung
Kinderarbeit im Baumwollanbau ist weltweit noch immer Realität – vor allem in Ländern des globalen Südens, wo Armut, fehlende Bildung und mangelnde staatliche Kontrolle zusammenkommen. Auf den Feldern arbeiten Kinder beim Pflücken, Sortieren oder Spritzen von Pestiziden – oft stundenlang, bei großer Hitze, ohne Schutzkleidung und auf Kosten ihrer Schulbildung.
Besonders betroffen sind Länder wie Indien, Pakistan, Mali, Burkina Faso, Benin oder Turkmenistan. Positive News gibt es aus Usbekistan, hier wurde die systematische Kinderarbeit in der Baumwollernte laut Cotton Campaign und ILO 2022 offiziell beendet, auch wenn unabhängige Beobachter weiterhin von Einzelfällen berichten.
Nicht jede Form von Kinderarbeit ist per se ausbeuterisch oder schädlich. In vielen bäuerlichen Familienbetrieben ist es seit jeher üblich, dass Kinder bei der Ernte helfen – etwa nach der Schule oder an Wochenenden. Solche Beteiligung kann sogar positiv zur Entwicklung beitragen, etwa durch die Vermittlung von Verantwortungsgefühl, landwirtschaftlichem Wissen und sozialer Eingebundenheit. Entscheidend ist jedoch, wo die Grenzen liegen. Kritisch wird es, sobald Kinder durch Arbeit ihre Schulbildung verpassen, körperlich gefährdet werden, unter Druck stehen oder ausgenutzt werden, spricht man von ausbeuterischer Kinderarbeit – und diese ist klar zu verurteilen.
Leider ist genau das in vielen Baumwollregionen noch immer Alltag. Kinder arbeiten dort regelmäßig während der Schulzeit, tragen schwere Lasten, sind Hitze und Pestiziden ausgesetzt und oft nicht ausreichend geschützt. Mädchen und Jungen werden mitunter zur Arbeit verpflichtet, um zum Familieneinkommen beizutragen – eine direkte Folge von Armut, fehlender sozialer Absicherung und mangelndem Zugang zu Bildung.
Hinzu kommt: Baumwolle aus diesen Regionen gelangt über komplexe Lieferketten in die globale Textilindustrie – häufig ohne, dass Unternehmen oder Verbraucher die Herkunft genau nachvollziehen können. Umso wichtiger sind anerkannte Sozial- und Umweltstandards. Sie helfen dabei, Kinderarbeit konsequent auszuschließen und Transparenz zu schaffen.
Zertifizierungen wie GOTS (Global Organic Textile Standard) und IVN BEST schreiben verbindlich vor, dass entlang der gesamten Lieferkette keine Kinderarbeit zugelassen ist, und setzen gleichzeitig auf ökologische Anbaumethoden und soziale Verantwortung.
Organisationen wie Fairtrade, Cotton made in Africa oder Better Cotton Initiative setzen sich für Bildungsprojekte, faire Löhne, Schulungen und den Aufbau transparenter Lieferketten ein.
Gesetzliche Rahmenbedingungen gegen Kinderarbeit – Fokus Textilindustrie
Kinderarbeit ist international geächtet und in fast allen Ländern gesetzlich verboten. Doch in der globalen Textilindustrie – insbesondere in den vorgelagerten Bereichen wie Baumwollanbau, Spinnerei oder Färberei – bleibt sie vielerorts Realität. Um Kinderarbeit wirksam zu bekämpfen, braucht es ein Zusammenspiel aus internationalen Konventionen, nationalen Gesetzen und verbindlichen Standards entlang der Lieferkette.
Internationale Konventionen
Die wichtigsten internationalen Grundlagen liefert die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) mit ihren Konventionen Nr. 138 und 182. Die ILO-Konvention 138 (1973) regelt das Mindestalter für Beschäftigung – in der Regel liegt es bei 15 Jahren, bei gefährlicher Arbeit bei 18 Jahren. Die ILO-Konvention 182 (1999) verlangt das Verbot und die sofortige Beseitigung der schlimmsten Formen von Kinderarbeit, darunter Tätigkeiten, die die Gesundheit, Sicherheit oder Moral von Kindern gefährden – wie sie in vielen Bereichen der Textilproduktion vorkommen.
Diese Konventionen sind völkerrechtlich bindend, aber nur für Länder, die sie ratifiziert haben (176 Länder haben Nr. 138 und 182 Länder haben Nr. 182 ratifiziert). Das heißt: Erst wenn ein Staat eine Konvention unterzeichnet und in nationales Recht umsetzt, wird sie dort gültig. Die ILO kann dann zwar die Umsetzung beobachten und regelmäßig Berichte einfordern, sie hat jedoch keine Sanktionsmöglichkeiten, wenn ein Staat sich nicht daran hält.
Auch die UN-Kinderrechtskonvention (1989), die nahezu weltweit ratifiziert ist, verpflichtet die Vertragsstaaten, Kinder vor wirtschaftlicher Ausbeutung zu schützen.
Rechtlich gesehen ist die Konvention verbindlich, aber es gibt kein internationales Strafsystem bei Verstößen. Stattdessen überwacht ein UN-Ausschuss die Einhaltung, gibt Empfehlungen und veröffentlicht regelmäßig Berichte – eine Form von “Naming and Shaming”, die vor allem politischen Druck erzeugen kann.
Kinder gehören in die Schule
Nationale Gesetzgebungen
Auf nationaler Ebene bestehen in vielen Produktionsländern zwar Gesetze gegen Kinderarbeit – etwa in Indien, wo das Gesetz von 2016 Kinderarbeit unter 14 Jahren verbietet, jedoch Ausnahmen für familiäre Mitarbeit außerhalb der Schulzeit zulässt. In der Realität bleibt die Durchsetzung schwach, besonders in informellen Betrieben und Heimarbeitsstrukturen, die schwer kontrollierbar sind.
Ein zunehmend wichtiger Hebel entsteht durch Lieferkettengesetze in Abnehmerländern. In Deutschland ist seit Januar 2023 das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Kraft. Es verpflichtet große Unternehmen, menschenrechtliche Risiken – darunter auch Kinderarbeit – entlang ihrer globalen Lieferketten zu identifizieren, zu bewerten und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Verstöße können mit Bußgeldern oder dem Ausschluss von öffentlichen Aufträgen sanktioniert werden.
Auf europäischer Ebene ist derzeit das EU-Lieferkettengesetz (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) in Vorbereitung. Es soll eine einheitliche Sorgfaltspflicht für Unternehmen in allen EU-Mitgliedsstaaten schaffen – auch für mittelgroße Firmen – und eine zivilrechtliche Haftung bei Missachtung ermöglichen. Ziel ist ein starker, verbindlicher Rahmen für faire und transparente Lieferketten.
Freiwillige Nachhaltigkeitsstandards
In der Praxis sind diese Konventionen wichtige Grundlagen, aber sie greifen nur dann, wenn sie auch national umgesetzt und kontrolliert werden. In vielen Produktionsländern der Textilindustrie – etwa in Süd- und Südostasien – bestehen zwar Gesetze gegen Kinderarbeit, aber es fehlt an Personal, Kontrollen und politischem Willen, sie konsequent durchzusetzen.
Deshalb spielen neben staatlichem Recht auch nichtstaatliche, also freiwillige Standards und Zertifizierungen eine entscheidende Rolle im Kampf gegen Kinderarbeit in der Textilbranche. Sie orientieren sich oft direkt an den ILO-Normen. Zertifizierungen wie GOTS (Global Organic Textile Standard) und iVN BEST schreiben die strikte Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen vor – einschließlich des Verbots jeglicher Kinderarbeit. Sie kontrollieren die Einhaltung entlang der gesamten Lieferkette durch regelmäßige, unabhängige Audits und fördern zusätzlich ökologische und soziale Kriterien wie faire Löhne, sichere Arbeitsbedingungen und Transparenz.
Fazit: Kinderarbeit in der Textilindustrie –alle können etwas tun
Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der globalen Kinderarbeiterinnen durch internationale Bemühungen deutlich gesunken. Seitdem stagniert der Rückgang aufgrund der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie, anhaltender politische Instabilität, bewaffneter Konflikte sowie wachsender Armut, insbesondere in ländlichen Regionen.
Kinderarbeit ist also auch 2025 noch fester Bestandteil vieler Textil-Lieferketten – besonders im Baumwollanbau und in den frühen Verarbeitungsstufen. Schwerpunkregionen liegen dabei in Asien und Afrika. Zwar existieren klare internationale Regeln, etwa durch die ILO-Konventionen 138 und 182, doch ihre Wirkung bleibt begrenzt, wenn sie national nicht ausreichend umgesetzt oder kontrolliert werden. In der Praxis fehlt es häufig an politischem Willen, Kapazitäten und Transparenz.
Neue gesetzliche Initiativen wie das Lieferkettengesetz in Deutschland und auf EU-Ebene setzen zusätzlich Unternehmen unter Zugzwang. Direkte Gesetze allein reichen jedoch nicht aus: Solange Armut, Bildungsarmut und mangelnde Perspektiven bestehen, bleibt Kinderarbeit eine Überlebensstrategie für viele Familien. Wirksame Lösungen müssen deshalb global gedacht werden – mit sozialer Absicherung, Bildungschancen und fairen Handelsbedingungen als Fundament.
Verantwortungsvolle Standards wie GOTS oder IVN BEST bieten einen wirksamen Gegenentwurf: Sie schließen Kinderarbeit konsequent aus und sorgen für unabhängige Kontrolle. Verbraucherinnen, die auf glaubwürdige Siegel achten, tun also etwas gegen Kinderarbeit.
Außerdem kann man Initiativen wie Clean Clothes Campaign, FEMNET oder terre des hommes unterstützen, die sich gegen Kinderarbeit einsetzen.
