Wir waren im Gespräch mit Andrea Ebinger, CEO der Hess Natur-Texti­lien GmbH. Der Branchen­führer erlebt derzeit eine sehr beein­dru­ckende Solida­rität und hat einen großen Sprung in die Agilität gemacht.

IVN Geschäfts­stelle: Wir haben jetzt über 6 Wochen Corona-Krise hinter uns. Wie geht es hessnatur als Unter­nehmen und seinen Mitar­bei­tern im Moment?

Andrea Ebinger: Wir haben bereits ab Mitte Februar Verän­de­rungen vorbe­reitet und lagen mit unseren Entschei­dungen meist etwas vor den Empfeh­lungen der Regie­rung: Liefe­ranten- und Messe­be­suche wurden abgesagt, Notfall­pläne und Hygie­ne­maß­nahmen einge­richtet, Mitar­beiter schnellst­mög­lich ins Home Office gebeten. Das funktio­niert bei uns alles sehr gut. Ich bin glück­lich, dass sich alle schnell auf das neue Arbeiten und auf die neue Situa­tion einge­stellt haben. Wir erleben bei hessnatur derzeit nicht nur eine sehr beein­dru­ckende Solida­rität, sondern haben einen großen Sprung in der Agilität gemacht. Wir arbeiten nun noch digitaler, stärker vernetzt und auch fokus­sierter als zuvor. Für uns kann es – und das nicht nur in Bezug auf diesen Punkt – ein „Weiter wie davor“ nicht geben. Wir befragen gerade unsere Mitar­bei­te­rInnen, was sie mit in den neuen Alltag nehmen möchten.

IVN Geschäfts­stelle: Wir haben viele Speku­la­tionen gelesen, wie die Situa­tion im Handel nach der Wieder­eröff­nung der Läden sein wird. Können Sie schon etwas zur Frequenz und Kunden­stim­mung sagen?

Andrea Ebinger: Wir haben die ersten Stores erst vergan­gene Woche wieder geöffnet. Ich war zur Wieder­eröff­nung des Stores in Frank­furt dabei, unsere Store-Damen haben sich so sehr auf die Kunden gefreut und der erste Tag war sehr positiv. Die KundInnen nehmen Rücksicht und halten sich an die Hygiene-Vorgaben. Die Stimmung lässt sich also als optimis­tisch beschreiben. Dennoch sind die Tage sehr unter­schied­lich und sehr volatil von bis zu 80% der normalen Umsätze bis hin zu 30 oder 40%. Das ist auch das, was wir im gesamten Handel hören. Ich denke auch hier werden sich die Menschen erst wieder auf die neue Situa­tion einzu­stellen haben.

IVN Geschäfts­stelle: In einigen Ländern ist die Situa­tion jetzt beson­ders angespannt. Ist die Liefer­kette von hessnatur betroffen und wie gehen Sie damit um?

Andrea Ebinger: Ich denke grund­sätz­lich sind alle betroffen – wir sitzen alle im gleichen Boot. Wir haben uns sehr dafür einge­setzt, unsere Partner wo nötig zu unter­stützen und bis jetzt scheint dies gut gelungen. Die Ausnah­me­si­tua­tion ist jedoch noch nicht vorbei und jedes unserer Produk­ti­ons­länder ist in einer anderen ganz beson­deren Situa­tion. Seit Beginn sind wir daher in sehr engem Austausch mit unseren Partnern und auch mit Multi-Stake­holder-Initia­tiven, anderen Marken und Organi­sa­tionen, um uns für weitere und neue, solida­ri­sche Lösungen einzu­setzen – auch langfristig.

IVN Geschäfts­stelle: Wir kämpfen alle für eine faire und ökolo­gi­sche Textil­in­dus­trie. Sehen Sie Covid 19 eher als Bedro­hung für den Nachhal­tig­keits­ge­danken oder als Chance?

Andrea Ebinger: Wichtig ist zunächst, dass alle gesund durch die Krise kommen. Nach der Krise wird es wichtig sein, die Impulse, sowohl auf der inves­tiven Seite des Staates als auch bei der Förde­rung der Nachfrage so zu setzen, dass damit vor allem die zukunfts­wei­senden Indus­trien unter­stützt werden. Hier denke ich insbe­son­dere an den Kampf gegen den Klima­wandel und dass die Umset­zung des Green Deals nicht gefährdet wird. Ich denke, dass wirtschaft­liche Themen nach der Krise zunächst dominieren werden. Wir sehen es aber als Chance, dann die richtigen Dinge zu tun, um nicht in die nächste unabwend­bare (Klima)-Krise zu kommen. Wir haben nun alle gemein­schaft­lich weltweit eine Krise erlebt, wenngleich auch in deutlich unter­schied­li­chen Ausprä­gungen. Es könnte auch eine echte Chance für ein neues Bewusst­sein sein. Denn, die Krise wäre nicht entstanden, hätten wir im Einklang mit der Natur gelebt.

Wir haben aktuell viel Zulauf an neuen Kunden, was uns zuver­sicht­lich macht, dass das Thema ankommt. Wir setzen uns in verschie­denen Gremien gerade auch zur jetzigen Zeit sehr dafür ein, den Klima­wandel nun nicht in Verges­sen­heit geraten zu lassen. Wir sehen die jetzige Situa­tion als dringenden Appell, daraus zu lernen und jetzt wirklich alles zu tun, die Klima­krise abzuwenden. Der Wirtschafts­auf­schwung in Deutsch­land nach dem zweiten Weltkrieg ist nicht deshalb zustande gekommen, weil alles so gemacht wurde wie vorher, sondern weil die Weichen neu gestellt und Dinge anders gemacht wurden.

IVN Geschäfts­stelle: Was wünschen Sie sich von der Natur­tex­til­branche in den nächsten Wochen und Monaten?

Andrea Ebinger: Wir empfinden unsere Branche schon als recht solida­risch, aber nun braucht es den Zusam­men­halt mehr denn je. Wir sollten die Krise nutzen, um kreative Lösungen für gemein­schaft­liche Probleme zu finden, um als Branche gestärkt und mit viel Power aus der aktuellen Situa­tion hervor­zu­gehen. Denn wir sitzen alle im gleichen Boot und in der gleichen (Um)welt.