Arbeitssicherheit - Sterben für den letzten Schrei
Berlin, 06.11.2013
Ende April 2013 stürzt das Fabrikhochhaus „Rana Plaza“ in Dhaka, Bangladesch ein. In dem achtstöckigen Gebäude, das man erst 2010 auf die Schnelle hochgezogen hatte, wurden Kleider für den Westen genäht. Schreckensbilder gingen um die Welt. Über 1100 Menschen kommen ums Leben, die schlimmste Katastrophe dieser Art in Bangladesch. Dass Blut an der Kleidung klebt, die wir billig und billigend kaufen, ist keine Phrase mehr, sondern plakative Realität. Der Einsturz war weder die erste noch die letzte Katastrophe in Bangladesch oder anderen Billiglohnländern, an der Menschen Schuld sind.
Was können wir tun?
Während die einen Pressevertreter mit Horrorbildern Quote machen und mit dem Finger auf Politik, Textildiscounter und Schnäppchenjäger zeigen, machen sich andere Gedanken um Lösungsansätze und Verantwortung. Der öffentliche Diskurs um Sozialstandards gewinnt an Fahrt und auch an Tiefe. Wer ist Schuld an der schrecklichen Lage der Arbeiter in den textilen Weltfabriken und was ist zu tun, damit sie sich verbessert?
Aufräumen im eigenen Land
Im vergangenen Jahr war die Textilbranche für 80 Prozent der Exporte aus Bangladesch verantwortlich und setzte knapp 20 Milliarden Dollar um, Prognosen internationaler Unternehmensberatern zufolge werden es bis 2015 über 30 Milliarden Dollar sein. Die bangladeschische Regierung muss handeln, wenn sie nicht will, dass die Auftraggeber aus dem Westen in Länder mit strengeren Arbeitsgesetzen abwandern. Zahlreiche Textilfabriken wurden auf ihre Sicherheit hin überprüft, 16 Fabriken wurden sogar geschlossen. Regierungssprecher Mosharraf Hossain Bhuiyan teilte Mitte Mai sogar mit, dass nun unabhängige Gewerkschaften für Textilarbeiter zugelassen seien. Doch das Land ist korrupt, die Politik in Bangladesch tut alles, um Verantwortlichkeiten zu kaschieren. Die Mitglieder der Regierungspartei sind größtenteils in der Textilbranche verwurzelt. Immerhin wurde der Besitzer des „Rana Plaza“ inhaftiert, die Behörden haben damit begonnen, in den Textil-Fabriken im Land internationale Sicherheitsstandards durchzusetzen und angekündigt, den Mindestlohn von derzeit umgerechnet 30,- Euro pro Monat zu erhöhen.
Politische Lösungen
Dennoch ist auch die Politik der Importländer im Westen gefragt. Welche Maßnahmen hier die richtigen sind, ist allerdings strittig in der öffentlichen Diskussion. Wenn wir per Gesetz keine Kleider mehr aus Ländern importieren würden, die Arbeitssicherheit ignorieren und Menschenrechte mit Füßen treten, würden Textilfabrikanten und Politiker dort wach – meinen einige. Die Gegenmeinung ist, dass durch den Wegfall der Exportumsätze lediglich die Näherinnen in diesen Ländern ihre Arbeit verlieren die Armut sprunghaft steigt. Der westliche textile Wanderzirkus zieht einfach an den nächsten billigen Standort und lässt das Entwicklungsland Bangladesch mit leeren Fabrikhallen zurück. Ein etwas weniger drastischer Schritt wäre es, mit einer Herkunftserklärung für mehr Transparenz in der weltweiten Bekleidungsproduktion zu sorgen. Angela Merkel sprach sich für diesen Weg aus, weist aber darauf hin, dass die entwickelte Welt mit dieser Forderung nicht zu dominant auftreten dürfe: „Die Entwicklungsländer haben natürlich Angst, ihren Wettbewerbsvorteil, billige Arbeitsplätze zu haben, wieder zu verlieren“, sagte die Kanzlerin auf dem Kirchentag. Verbraucher und Unternehmer wissen um die Missstände in bestimmten Ländern, können aber nicht reagieren, da sie nicht wissen, woher die Kleider stammen. Ein etwas solideres Konzept in diese Richtung wäre eine Offenlegungspflicht, wie sie die Kampagne für saubere Kleidung fordert: „Die Politik muss handeln und für Transparenz sorgen. Wir fordern eine Offenlegungspflicht der Unternehmen über die Auswirkungen ihrer Tätigkeit.“ Allerdings besteht auch hier die gleiche Gefahr wie bei einem Importverbot aus Risikoländern: Die Menschen dort werden arbeitslos, zumindest solange, bis im Land die Missstände abgestellt sind und der westliche Verbraucher wieder Vertrauen in textile Produkte aus Bangladesch fasst. Mit einer solchen Transparenz hinsichtlich des Produktionslandes müsste gleichzeitig klargestellt werden, dass es auch in Billiglohnländern Unternehmen gibt, die fair produzieren – zertifizierte Unternehmen, die von unabhängigen Inspektoren überprüft werden. Möglich wäre von Regierungsseite her auch eine Regelung außerhalb der breiten Öffentlichkeit. Wenn man die Guten über das Steuersystem belohnt und die Schlechten abstraft. Unternehmen, die gegen Menschenrechte verstoßen oder mit Produkten handeln, die nicht belegt unter menschenwürdigen Bedingungen hergestellt wurden, werden höher besteuert, als solche, die sich nachweislich im ethisch-nachhaltigen Bereich bewegen.
Michael Mustermann
Diese Regelung würde den Verbraucher weniger stark in die Verantwortung nehmen. Eine These, die ebenfalls eingehend in der Öffentlichkeit diskutiert wird, ist die, dass der Verbraucher die Macht, die er hat, konsequenter nutzen muss, um Dinge zu verändern. Um richtige und gute Kaufentscheidungen treffen zu können, muss der Verbraucher aber tiefgreifendes Wissen haben. Es ist nicht damit getan, nicht mehr bei Discountern zu kaufen. Auch Designer-Markenkleidung wurde im Rana Plaza genäht. Nur noch europäische Kleidung zu kaufen, ist ebenfalls keine Lösung, denn wenn „made in xy“ auf einem T‑Shirt steht, bedeutet das nicht unbedingt, dass es auch dort genäht sein muss. Was kann der Verbraucher also tun? Er kann umdenken, ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie viel Wert in einem Kleidungsstück steckt. Vielleicht schmeißt man eine Jeans, von der man weiß, wie viel Arbeit und Kreativität dahinter steckt, weniger schnell weg, als anonyme Massenware, nur weil sie nicht mehr ganz so hipp ist. Die Arbeit hinter unserer Mode wertzuschätzen und mit der Billig– Mentalität aufzuräumen, wäre ein erster Schritt. Natürlich haben wir auch in Deutschland Mitbürger, die sich das nicht leisten können. Aber auch die könnten stutzig werden, wenn ein Dumpingpreis-T-Shirt nicht teurer ist, als ein Laib Brot.
Gewinnmaximierung um jeden Preis?
Der größte Handlungsbedarf liegt sicher bei der Industrie – vor Ort und im Westen. Der größte Vorwurf, der in der Presse zu lesen ist – formuliert von nachhaltigen Kampagnen und Organisationen – ist das allgegenwärtige Preisdumping. Die Ware liegt billig auf dem Ladentisch, der Handel muss also billig einkaufen, der Hersteller billig produzieren und setzt deshalb die Zulieferanten in den Niedriglohnländern unter Druck. Die Firmeninhaber zahlen lachhafte Löhne und investieren nicht in gute Arbeitsbedingungen für ihre Arbeiter. Also liegt es doch nahe, dass die Nähereien sich nicht mehr unter Druck setzen lassen dürfen und die westlichen Auftraggeber bessere Preise zahlen müssen. Das ist jedoch ein Prozess, der langsam stattfinden muss, wenn nicht der Abzug der Importeure aus einem Land die Folge sein soll. Am Ende der Kette bedeutet eine Preiserhöhung der Näherei um wenige
Prozent eine deutliche Verteuerung des fertigen Kleidungsstücks. Die Textilriesen sind nicht bereit, Gewinneinbußen zu akzeptieren, ist eine Meinung. Auf einen signifikanten Teil des Umsatzes zu verzichten, führt Hersteller und Handel mittelfristig in die Insolvenz, ist die andere. Der Verbraucher hier im Westen wird aber nicht von heute auf morgen ein Fünftel mehr für sein T‑Shirt bezahlen. Ebenfalls ist es wichtig, dass die europäischen Marken und Handelsketten endlich Verantwortung für ihre Lieferanten und deren Vorlieferanten übernehmen. Wenn ein Discounter hierzulande nicht weiß, wer seine Produkte unter welchen Bedingungen für ihn herstellt, kann er auch keinen Einfluss nehmen und macht sich enorm angreifbar. Wenn Handelsketten hier Druck machen und keine Lieferanten mehr akzeptieren, denen es an Transparenz fehlt, gehen diese schnell verantwortlichere Wege. Mehr als ein Lippenbekenntnis ist ein Verantwortungsbewusstsein für Lieferanten aber nur dann, wenn es durch Zertifikate belegt ist.
Gut ist nicht gut genug
Standardgeber, Organisationen und Kampagnen müssen allerdings auch handeln, um die Situation in den Nähstuben in Asien zu verbessern. Einerseits haben nur wenige Nichtregierungsorganisationen ausreichend starke Standards, um eine Sicherheit für Arbeiter zu gewährleisten. Die Katastrophe in Dhaka mache laut Kampagne für Saubere Kleidung deutlich, wie unzureichend private Prüfungen der Arbeitsplatzverhältnisse sind. Zwei der im Rana Plaza untergebrachten Unternehmen seien im Auftrag der „Business Social Compliance Initiative“ auditiert worden. Auch der TÜV habe eine der Fabriken in dem Gebäude 2011 und 2012 kontrolliert und keine Baumängel festgestellt. Die meisten Richtlinien oder Codes of Conduct geben eine solche Überprüfung gar nicht erst her. Zum anderen sind die Audits in den Konfektionsbetrieben meistens nur Momentaufnahmen. Während der Anwesenheit des Auditors sind alle Fluchtwege frei, sobald er der Fabrik aber den Rücken kehrt, werden sie wieder zugestellt oder Notausgänge werden sogar abgeschlossen. Mehr Kontrollen müssen unangemeldet stattfinden und verlässlicher durchgeführt werden. Darüber hinaus müssen Standards an die einzelnen Landesgegebenheiten angepasst werden. Die Umstände, unter denen Menschen auf der ganzen Welt unsere Textilien herstellen, sind noch immer nicht akzeptabel und die Diskussion um die Missstände ist wahrlich nicht neu. Auch wenn durch die Informationen über die Katastrophen der letzten 12 Monate bereits eine Veränderung eingetreten ist, können und müssen alle Teilnehmer am textilen Weltmarkt am Ball bleiben, um die Bedingungen in den Textilfabriken weltweit zu verbessern. Besonders eines ist aber wichtig: Egal, ob wir Verbraucher, Händler, Marke oder Vorlieferant sind, das Bewusstsein für die Problematik sollte sich schnellstmöglich in der Bereitschaft niederschlagen, das für ein Kleidungsstück zu bezahlen, was es auch wirklich wert ist.