Kinderarbeit - trotz Verbesserungen bleibt noch viel zu tun
Kinderarbeit ist ein Thema, das jeden berührt. Viele Zitate von berühmten Menschen beschreiben auf die eine oder andere Art, dass Kinder „unser Ein und Alles“ sind. Der italienische Dichter Dante Alighieri schreibt beispielsweise „Drei Dinge sind uns aus dem Paradies geblieben: die Sterne der Nacht, die Blumen des Tages und die Augen der Kinder.“
Kinderarbeit ist nicht gleich Kinderarbeit
Man müsste doch also meinen, dass sich jedermann dafür einsetzt, Kinder zu schützen und zu fördern. Doch dem ist nicht so. Junge Menschen werden auf der ganzen Welt misshandelt und zu billigen Arbeitskräften gemacht, leider auch und vor allem in der Textilindustrie. Das mag zu einem geringen Teil in kulturellen Unterschieden begründet liegen, denn in anderen, in ärmeren Kulturen hat man oft eine andere Einstellung zu Kinderarbeit, als bei uns hier im Wohlstand. Und hier liegt die häufigste Ursache für Kinderarbeit: die Verzweiflung von Eltern, die ihrer Armut entspringt.
Das Arbeiten von Kindern ist aber nicht grundsätzlich zu verurteilen. Wenn ein Kind beispielsweise neben der Schule im elterlichen Betrieb, oder zu Erntezeiten auf dem Feld mithilft, dann lernt es etwas dabei. Es hat das gute Gefühl, die Familie zu unterstützen und bereitet sich auf seine Rolle als produktives Mitglied der Gesellschaft vor. Wo aber liegen die Grenzen?
Sobald eine Arbeit einen jungen Menschen seiner Kindheit beraubt, sein Entwicklungspotential einschränkt, seine Gesundheit oder Moral gefährdet oder seine Würde mit Füßen getreten wird, spricht man Kinderarbeit. Kinder sollten also nicht zu schwer an einer Arbeitstätigkeit tragen müssen, sie müssen Raum und Zeit genug haben, um sich zu entwickeln, um die Schule zu besuchen, zu spielen und sich in der Familie geborgen zu fühlen. Auf keinen Fall sollte ein Kind zu lange, zu hart, unter Zwang oder unter Misshandlungen arbeiten müssen.
Ob eine Tätigkeit als „Kinderarbeit“ bezeichnet werden muss, hängt vom Alter ab und von der Länge und Schwere der Arbeit. Auch das rechtliche Verständnis von „Kinderarbeit“ ist je nach Land oder Region unterschiedlich. Während in einigen Ländern dieser Erde die schlimmsten Formen von Kinderarbeit stillschweigend geduldet werden, haben andere ein gut funktionierendes Sozialsystem, das junge Menschen vor Misshandlungen und Ausbeutung schützt – wie zum Beispiel Deutschland.
So sollte es sein – Normen, Vorgaben und Gesetze
Seit 1919 kämpft die Internationale Arbeitsorganisation, kurz ILO (International Labour Organisation) für die Einhaltung der Menschenrechte. Heute ist sie eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Die ILO Kernnormen richten sich also an Regierungen und nicht direkt an Wirtschaftsunternehmen. Mit ihren derzeit 185 Mitgliedsstaaten ist sie für die Formulierung und Durchsetzung internationaler und rechtsverbindlicher Arbeits- und Sozialnormen zuständig. Das Internationale Programm zur Eliminierung von Kinderarbeit (IPEC) der ILO (International Labour Organisation) definiert Kinderarbeit zwar sehr ausführlich, räumt aber ein, dass die Arbeit von Kindern und Jugendlichen auch positiv sein kann. Arbeit darf auf Kinder und Jugendliche keine negativen Auswirkungen auf ihre Gesundheit haben, sie nicht vom Besuch der Schule abhalten oder ihre Entwicklung schädigen. (1)
Die Kernarbeitsnormen der ILO, die den Charakter von universellen Menschenrechten haben, umfassen zwei Übereinkommen über Kinderarbeit: Das Übereinkommen über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung (C138) von 1973 verpflichtet jedes Mitgliedsland, eine innerstaatliche Politik zu verfolgen, die die Abschaffung von Kinderarbeit gewährleistet und die die volle körperliche und geistige Entwicklung der Jugendlichen sichert. Es enthält kein Verbot der Kinderarbeit. (2)
Das tatsächliche Mindestalter für den Arbeitseintritt ist je nach Land flexibel, muss aber offiziell festgelegt werden. Dieses Alter darf nicht unter dem Alter liegen, in dem die Schulpflicht endet und auf keinen Fall unter 15 Jahren. Bei Tätigkeiten, die für das Leben, die Gesundheit oder die Sittlichkeit der Jugendlichen gefährlich ist, gilt grundsätzlich ein Mindestalter von 18 Jahren. Allerdings gibt es eine Ausnahme für Tätigkeiten, die im Rahmen einer Ausbildung oder eines Praktikums stattfinden. (3)
Das Übereinkommen über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (C182) von 1999 verpflichtet die unterzeichnenden Staaten unverzüglich Maßnahmen zu treffen, die die schlimmsten Formen der Kinderarbeit verbieten und beseitigen. Hier werden „Kinder“ als Personen unter 18 Jahren definiert und als „die schlimmsten Formen von Kinderarbeit“ gelten Sklaverei (Schuldknechtschaft, Zwangsarbeit etc.), Kinderhandel, Prostitution und Pornografie, gesetzeswidrige Tätigkeiten (vor allem Drogenhandel) und alle Tätigkeiten, die widernatürlich oder schädigend sind. (4)
Eine ausnahmsweise Herabsetzung des Mindestalters auf 14 Jahre erlaubt das Übereinkommen über das Alter für die Zulassung von Kindern zur Arbeit in der Landwirtschaft (C10) von 1921. Kinder unter 14 Jahren dürfen in landwirtschaftlichen Betrieben arbeiten, aber nur außerhalb der Schulzeiten.
Viele Wirtschaftsinitiativen und –zusammenschlüsse verbieten Kinderarbeit ebenfalls. Beispielsweise die Sustainable Apparel Coalition, die Business Social Compliance Initiative (BSCI), die Ethical Trading Initiative, die Fair Labour Association, Fair Wear Foundation, das Bündnis für Nachhaltige Textilien und einige mehr. Auch nicht staatliche Standards, wie der Global Organic Textile Standard, IVN NATURTEXTIL BEST, IVN NATURLEDER, SA 8000, FairTrade oder STeP lassen Kinderarbeit nicht zu. Die Regelungen in den einzelnen Initiativen und Standards sind jedoch unterschiedlich was das Mindestalter, die maximalen Arbeitszeiten und die Anforderungen an Bildungsmaßnahmen für Betroffene anbelangt, sie verweisen jedoch alle auf die ILO Kernnormen.
Große Hersteller und Handelsketten der Textilbranche wie Puma, adidas, Otto, C&A oder H&M sind in Staaten ansässig, die die ILO Vereinbarungen ratifiziert haben, sie sind Mitglieder in o.g. Initiativen oder sind gar gemäß einem Standard zertifiziert, der Kinderarbeit verbietet. Darüber hinaus haben sie noch eigenen Code of Conduct(Verhaltenskodex), in denen sie ihre Lieferanten dazu verpflichten keine Kinderarbeit einzusetzen. Unternehmenseigene Kontrollen werden zwar durchgeführt, inwieweit die verzweigten Lieferketten aber den Einsatz von Kinderarbeit zulassen, ist eine andere Sache.
Noch immer arbeiten hunderttausende Kinder im Textil- und Ledersektor.
Im Bundesstaat Tamil Nadu in Südindien werden Mädchen und junge Frauen in Spinnereien wie Sklavinnen gehalten. Die meisten von ihnen stammen aus der Kaste der Unberührbaren aus dementsprechend armen Familien. Mit dem Versprechen eines geringen Monatslohn zu erhalten werden jungen Frauen zwischen 13 und 17 Jahren als Arbeiterinnen in Spinnereien gelockt. Umgerechnet 20 Euro pro Monat — der Mindestlohn in Indien liegt in dieser Region um das Vier- bis Fünffache höher — und eine Abfindung von durchschnittlich 3.000 Euro nach drei bis vier Jahren Tätigkeit wird ihnen versprochen. Das Geld, das sie nach den drei Jahren erhalten benötigen sie um heiraten zu können, als traditionellen Brautpreis (Sumangali). Sie bekommen keine Arbeitsverträge und müssen fernab ihrer Familien in betriebseigenen Unterkünften leben, die sie nicht verlassen dürfen. Die jungen Frauen arbeiten Tag und Nacht, müssen viele Überstunden leisten und werden durch männliche Aufseher kontrolliert, misshandelt und teilweise sexuell belästigt. Unter Vorwänden werden die Löhne einbehalten und nicht wenige der Mädchen überleben diese drei Jahre nicht. Die ILO Konventionen zu Kinderarbeit hat Indien zwar nicht ratifiziert, das so genannte Sumangali System ist in Indien aber eigentlich inzwischen verboten. Die Regierung greift allerdings nicht durch. (5)
Die Garnindustrie ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Indien und die Spinnerei-Inhaber haben großen Einfluss auf die Politik. So hat die Regierung von Tamil Nadu vor einigen Jahren die Dauer einer Ausbildung für ungelernte Spinnereiarbeiter auf drei Jahre ausgedehnt, und lässt zu, dass Mädchen und Frauen unter dem Sumangali-System als »Lehrlinge« gelten. Laut einer Studie der skandinavischen Menschenrechtsorganisation CIVIDEP gehören zu den Kunden dieser Spinnereien auch große Modeketten wie C&A, Sainsbury’s und Primark. Zwei Spinnereien beliefern Fabriken in Bangladesch, die das Garn u.a. für H&M weiterverarbeiten (6),
Für diese Unternehmen ist es schwierig, die textile Lieferkette bis hin zur Spinnerei zurück zu verfolgen. Auch wenn ein Lieferant unterschreibt, dass keine Kinderarbeit eingesetzt wird und stichprobenartig Betriebskontrollen stattfinden, können Menschenrechtsverletzungen nicht ausgeschlossen werden.
Rund 30 Ländern wird vorgeworfen, Kinder in der Baumwoll‑, Textil‑, Leder- und Bekleidungsindustrie arbeiten zu lassen. Der Baumwollanbau ist hierbei einer der Bereiche, die am häufigsten Kinder zum Arbeiten einsetzen. Man liest, dass alle Länder betroffen sind, stößt aber beispielsweise auf Argentinien, Aserbaidschan, Brasilien, Mali, Parguay, der Türkei und Sambia. Größtenteils arbeiten die Kinder „nur“ auf den elterlichen Farmen, statt zur Schule zu gehen. Die schlimmste Form der Kinderarbeit, die Zwangsarbeit von Kindern ist aber auch keine Seltenheit, wie zum Beispiel in Mali, Benin, Burkina Faso, China, Indien, Kasachstan, Pakistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan. Hier werden Schulkinder für die Baumwollernte rekrutiert und aus der Schule genommen. Das Land ist einer der größten Baumwollproduzenten der Welt und verkauft sie für über eine Milliarde US$ auf dem Weltmarkt. Allerdings geht dieses Geld nicht an die Farmer, die die Baumwolle anbauen. Der usbekische Staat zwingt die Farmer Baumwolle anzubauen, einen Ernteplan zu erfüllen und verbietet den Handel auf dem freien Markt. Die Kinder sammeln Schädlinge von den Baumwollpflanzen und pflücken die Baumwollkapseln. Die Tätigkeit ist vor allem für jüngere Kinder enorm anstrengend und zieht sich über mehrere Monate, in denen die Schule nicht besucht werden kann. Zwar hat die usbekische Regierung 2015 die Arbeit von Kindern unter 15 Jahren im Baumwollanbau verboten, es gibt aber besorgniserregende Anzeichen dafür, dass weiterhin eine große Zahl an Kindern zwangsrekrutiert wird. Lokale Vollstreckungsbeamte verstecken Kinder wochenlang vor den Kontrolleuren, die Arbeitsplätze überprüfen und die Beteiligung von Schülern im Alter von 6–14 Jahren auf den Feldern überwachen. (7)
Baumwollpflanzen werden mit Pestiziden behandelt, mit denen die Kinder in Berührung kommen. Jährlich sterben viele Hundert Baumwollpflücker durch diese Gifte, besonders Kinder. Sie sind gefährdeter als Erwachsene, weil ihre Organe für den Abbau von Schadstoffen noch nicht vollständig ausgebildet sind und über die dünnere Kinderhaut schneller in den Organismus gelangen. Viele leiden an chronischen Augenentzündungen, Nieren- und Leberproblemen oder Atemwegserkrankungen. (8)
Fakten und Zahlen
Im Alter zwischen fünf und 17 Jahren arbeiten weltweit 152 Millionen Kinder. 168 Millionen dieser Kinder fallen unter den Begriff „Kinderarbeiter“, arbeiten also regelmäßig mehrere Stunden am Tag. 73 Millionen Mädchen und Jungen verrichten gefährliche Tätigkeiten (9). Es gibt keine niedrig qualifizierten Tätigkeiten, die nicht auch von Kindern verrichtet werden. Die meisten Kinder arbeiten im sogenannten informellen Sektor, also ohne Verträge oder Sozialleistungen. Etwa zwei Drittel der Kinderarbeiter arbeiten in der eigenen Familie. In der Landwirtschaft arbeiten 71 Prozent, in der Industrie 12 Prozent und im Dienstleistungsbereich (Haushaltshilfen) 17 Prozent. Absolut gesehen arbeiten neun von zehn Kindern in Afrika, Asien oder der Pazifik-Region. (10)
Gute Nachrichten
Bei der Herstellung von Kleidung können sämtliche Tätigkeiten von Kindern ausgeführt werden. Vom beschriebenen Baumwollanbau und den Spinnereien abgesehen, werden sie auch für die Herstellung von Seide und in der Konfektion eingesetzt, in Färbereien, Gerbereien und Ausrüstungsbetrieben oder zum Besticken von Kleidung. Länder des asiatischen Raums sind hier Schwerpunkte, vor allem Bangladesch und Indien.
Grundsätzlich hat sich die Lage weltweit seit 2000 jedoch signifikant verbessert. Die Zahl der arbeitenden Kinder ist seit dem Jahrtausendwechsel von 246 auf 152 Millionen und damit um fast ein Drittel gesunken (10). Das sind zwar durchaus „Good News“, ist letztendlich aber eine noch immer nicht ausreichende Verbesserung. Denn trotz der Entwicklung in den vergangenen Jahren ist der Rückgang von Kinderarbeit nicht hoch genug, um das von der ILO gesetzte Ziel zu erreichen.
Stellschrauben
Die häufigste Ursache dafür, dass Kinder arbeiten müssen, ist die Armut der Eltern. Dass darüber hinaus Kinder für Arbeiten eingesetzt werden, die ihnen schaden, liegt jedoch in der Verantwortung derer, für die sie arbeiten. Die wiederum stehen unter dem Einfluss ihrer Kunden, den Importeuren der Industrienationen. Zum einen ist die Politik nach wie vor gefragt. Regierungen vor Ort sind in der Pflicht, die Gesetze, die sie erlassen auch zu verfolgen und sich von Korruption zu befreien. Die westliche Politik kann durch bilaterale Gespräche hier Einfluss nehmen. In Deutschland ist für solche Verhandlungen das Bundesministerium für Internationale Zusammenarbeit zuständig. Durch Entwicklungsarbeit kann zudem die wirtschaftliche Situation der Eltern verbessert werden.Industrie und Handel sind in der Verantwortung, den Produktionsweg ihrer Textilien und Lederwaren zu kennen und positiven Druck auf die Lieferanten zu nehmen. Dabei ist es wichtig, keinen übermäßigen Preisdruck auszuüben.
Fazit
Kinderarbeit ist nicht immer schlecht, aber es ist schwierig zu beurteilen, ab wann der Einsatz von Kindern zum Arbeiten noch toleriert werden kann und wann nicht. Auch wenn ein Kind die Schule versäumt, die die Existenz der ganzen Familie zu sichern, ist dies in der entsprechenden Kultur vermutlich absolut akzeptabel. Wenn Kinder gezwungen werden zu arbeiten oder misshandelt werden, ist eindeutig eine Grenze weit überschritten. Wie erfahren wir aber, unter welchen Umständen ein Textil- oder Lederprodukt entstanden ist? Durch die oben beschriebenen Siegel, die einen Ausschluss von Kinderarbeit durch die gesamte Produktionskette sicherstellen.
2. www.ilo.org/berlin (Internationale Arbeitsorganisation)
3. ILO Übereinkommen 138 (ILO: Mindestalter)
4. ILO Übereinkommen 182 (ILO: Schlimmste Formen von Kinderarbeit)
5. www.femnet-ev.de (Femnet, Sumangali – moderne Sklaverei)
6. www.cividep.org
7. www.humanium.org (Humanium: Sklavenarbeit von Kindern in Usbekistan)
8. www.unicef.de (Kinderarbeit auf indischen Baumwollfeldern)
9. www.ilo.org (Global Estimates of Child Labour – pdf)
10. www.ilo.org/berlin (Moderne Sklaverei und Kinderarbeit)