Politischer Aufbruch zu nachhaltigen Ufern
Berlin, 24.02.2015
Ein neues Jahr hat angefangen – eines mit hohen Erwartungen. Die Vorlage dafür sind politische Ereignisse und Aktivitäten in 2014. Nachhaltige Textilien und Lederwaren haben Schlagzeilen gemacht und zwar viel mehr positive als negative! Nicht Skandale oder Katastrophen haben die Berichterstattung dominiert. Über Mode-Unternehmen, die sich verpflichten, Kleidung in Zukunft verantwortungsvoller zu produzieren oder einzukaufen, wurde berichtet, über Kampagnen und Initiativen, die sich erfolgreich für gerechte Kleidung einsetzen und endlich war auch etwas über Politiker, die Interesse an unserem Thema haben, zu lesen und zu sehen. Zeit für einen Rückblick und Anlass für einen Ausblick!
Früchte harter Arbeit
Mehr und mehr Menschen und Initiativen setzen sich also für Nachhaltigkeit und Verantwortung in der Textilproduktion ein – 2014 mit großem Erfolg. Greenpeace hat im Rahmen der detox Kampagne inzwischen 26 Modeanbieter dazu verpflichten können, bis 2020 Schadstoffe in Textilien durch ungefährliche Substanzen zu ersetzen, darunter adidas, C&A, H&M und Zara. Die Kampagne läuft weltweit bereits seit 2011. Im vergangenen Jahr war sie aber besonders erfolgreich. Puma, Lidl, Tchibo, Rewe und Penny haben unterzeichnet. Nach der Katastrophe 2013, bei der wegen eines Fabrikeinsturzes in Bangladesch über 1.000 Menschen ums Leben kamen, wurde ein gesetzlich bindendes Abkommen ausgearbeitet. Der Bangladesh Fire and Building Safety Accord soll Textilfabriken in Bangladesch zu sicheren Arbeitsorten machen. Über 100 Modeunternehmen, die Textilien aus Bangladesch importieren, haben letztes Jahr unterschrieben und sich verpflichtet, Verantwortung für ihre Lieferanten zu übernehmen. Kampagnen wie die Clean Clothes Campaign standen zusammen mit Gewerkschaften beratend zur Seite und konnten genügend Druck aufbauen, so dass die Importeure unterzeichneten.
Am Ball bleiben
Diese und andere Erfolge sind das Ergebnis eines jahrelangen und unermüdlichen Einsatzes von Initiativen, Verbänden und Kampagnen. Dennoch kein Anlass, sich zurückzulehnen. Denn wenn die Textilindustrie hier in Europa so weiter wirtschaftet wie bisher, werden wir ernsthafte Umweltprobleme bekommen, nicht nur in den Billiglohnländern, sondern auch hier. Für uns ist Mode beinahe zu einem Wegwerf-Produkt geworden. Textiler Müll ist noch immer ein nennenswerter Faktor bei der europäischen Umweltbilanz. Wir wollen ständig neue Mode und wir wollen sie billig. Noch immer haben viele Menschen in den Produktionsländern wegen der Einleitung von Textilchemikalien keinen Zugang mehr zu sauberem Trinkwasser, die Zustände für Arbeiter dort sind noch immer katastrophal. Vergiftungen oder schleichende Krankheiten plagen die Menschen, die unsere Kleidung herstellen. Es genügt nicht, sich das eine oder andere Produktionsland vorzunehmen und die dringlichsten Brandherde zu löschen. Um tiefgreifend und flächendeckend etwas zu verändern, ist ein Zusammenspiel von Öffentlichkeit, Handel, Industrie und Politik notwendig.
Jetzt ist die Politik gefragt
Während Presse und Öffentlichkeit schon seit geraumer Zeit saubere Textilien fordern und mehr und mehr Textilhändler und ‑hersteller Nachhaltigkeitsabteilungen einrichten, hat die deutsche Politik sich lange Zeit nicht an das Thema nachhaltige Textilien herangewagt – nicht einmal Bündnis 90/Die Grünen. Zu groß war die Lobby der konventionellen Textilindustrie, zu klein die Nische der Vorzeigeunternehmen. Die Notwendigkeit, sich auf Regierungsebene einzusetzen, wurde nicht erkannt oder verdrängt. Im Bundestag waren nachhaltige Textilien nie wirklich ein Thema. Schließlich haben wir in Europa anspruchsvolle Gesetze, die das schlimmste Übel abwenden. Wir haben strenge Abwasserverordnungen, ein Produktsicherheitsgesetz, das Sicherheitsanforderungen an Verbraucherprodukte stellt, eine EUÖkoverordnung und Gewerkschaften, die für die Rechte von Arbeitern hierzulande eintreten. Die REACH-Verordnung stellt seit 2006 Stück für Stück sicher, dass langfristig keine gefährlichen Chemikalien mehr auf den europäischen Markt gelangen.
Jetzt kommt Bewegung in die Politik
Unsere europäischen Gesetze ändern aber nichts an der Situation in den Produktionsländern. Das hat Entwicklungsminister Dr. Gerd Müller (CSU) offensichtlich erkannt, nachdem er in Bangladesch zu Verhandlungen gewesen ist. Er hat es zu seinem persönlichen Anliegen gemacht, die Situation vor Ort zu verbessern – in ökologischer und sozialer Hinsicht. Im April letzten Jahres hat er in einem Interview den „grünen Knopf“ für Textilien angekündigt, also ein staatliches Siegel. Die Textilindustrie lief Sturm, die Presse wertete sein Interesse als Lippenbekenntnis und die Opposition als Profilierungsmasche. Müller meint es aber ernst. In mehreren Zusammenkünften von Fachleuten aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft hat sein Ministerium (BMZ) mit deren Expertise einen Aktionsplan ausgearbeitet. Am Runden Tisch saßen Industrie, Handel, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen, Initiativen und Verbände. Aldi, C&A, H&M, KIK, Lidl, Otto, Tchibo, Vaude, transfair, Gesamtverband Textil und Mode, transfair, greenpeace, Clean Clothes Campaign, GOTS, IVN, ÖkoTex, WWF – das sind nur einige der Teilnehmer. Aus dem grünen Knopf ist im Lauf des vergangenen Jahres ein Bündnis geworden. Diesem Unternehmenszusammenschluss unter staatlicher Aufsicht liegen Bündnisstandards zugrunde. Bei Eintritt in das Bündnis müssen Unternehmen Mindeststandards erfüllen. Die ausgearbeiteten Zielanforderungen an Transparenz, Sozialverantwortung und Umweltschutz sind ähnlich anspruchsvoll wie beim GOTS, allerdings sind sie mit Umsetzungsfristen verknüpft. Der konventionellen Textilindustrie sind die Standards zu anspruchsvoll, die Zeit zur Umsetzung zu kurz. Außer Vaude und Trigema hat bislang kein größeres Textilunternehmen unterzeichnet. Müller und sein Team lassen sich aber nicht entmutigen: In weiteren Gesprächen mit Industrie und Handel will der Minister Überzeugungsarbeit leisten und die Umsetzung der Bündnisstandards der Realität anpassen. Dies zu tun, ohne diese Standards zu verwässern, ist eine große Herausforderung. Minister Müller hält viele der Anforderungen aber nicht für verhandelbar, beispielsweise die Sicherstellung von existenzsichernden Löhnen, das Ersetzen gefährlicher Textilchemikalien durch umwelt- und gesundheitsverträgliche Substanzen oder die Rückverfolgung der Lieferkette bis in die Produktionsländer. Das BMZ plant Bündnispartner aktiv zu unterstützen: Mit Datenbanken, Forschung und Entwicklung, Informationsplattformen sowie durch Gespräche mit den Regierungen der Produktionsländer. Ein kürzlich gewählter Steuerungskreis, zu dem auch der IVN gehört, soll die weiteren Schritte des Bündnisses koordinieren. Nun geht es vor allem darum, einige der Anforderungen deutlicher auszuformulieren, Fristen zu überdenken und die Überprüfung der Standards auszuarbeiten.
Andere ziehen nach
Auch andere Ministerien, die das Thema nachhaltige Umwelt- und Arbeitsbedingungen betrifft, sind inzwischen mit im Boot. Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles, Umweltministerin Barbara Hendricks und sogar Angela Merkel haben Gerd Müller – zumindest verbal – den Rücken gestärkt. Sogar die Opposition regt sich endlich. Anfang Dezember vergangenen Jahres lud die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einem Fachgespräch zu Fairer Kleidung ein. Moderiert von Renate Künast in ihrer Funktion als Vorsitzende des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz sollten Nichtregierungsorganisationen, Standardgeber, Verbände, Industrie und Handel sich zu der Frage äußern, ob ein staatliches Textilsiegel für Deutschland oder Europa Sinn macht und welchen Inhalts ein solches sein müsste. In den Podiumsdiskussionen und anschließenden Gesprächsrunden mit den rund 150 Teilnehmern wurde klar, dass es durchaus Möglichkeiten gibt, auf politischer Ebene an den Stellschrauben der Textilindustrie in Richtung faire und nachhaltige Produktion zu drehen. Das Fazit der Veranstaltung war, dass das gesellschaftliche Interesse am Thema saubere Kleidung heute so hoch ist wie nie zuvor. Es genügt jedoch nicht, ein Siegel für Bio-Textilien zu schaffen, sondern Strukturen müssen grundsätzlich verändert werden. Von einem „Ordnungsrahmen für den zukünftigen globalen Handel“ war die Rede und davon, dass ein rechtebasierter Ansatz her muss. Einheitliche EU-Standards sollen Rechte und Pflichten der Akteure definieren. Transparenz für Verbraucher, Sorgfaltspflicht der Unternehmen, Offenlegungspflichten und die Stärkung von Gewerkschaften und Organisationen in den Produktionsländern sind nach Ansicht der Grünen denkbare Hebel, um die Gesamtsituation zu verbessern. Die Fraktion bleibt am Ball, versprach Künast am Ende des Fachgesprächs.
Auch für den Verbraucher direkt tut sich etwas
Eines der Instrumente, die helfen sollen, den Markt für nachhaltige Produkte zu stärken, ist Verbraucheraufklärung. Dies setzte das BMZ in Form eines Verbraucherportals um, das Anfang 2015 online gehen soll. Sehr dezidiert wurden alle Standardgeber zu ihren Siegeln und Richtlinien befragt und erhielten Gelegenheit, diese zu kommentieren. Ein ausgefeiltes Bewertungssystem wurde auf Verbraucherniveau herunter gebrochen und soll so einen Durchblick im Siegeldschungel schaffen. Auf der Seite siegelklarheit.de sind Profile der bewerteten Standards zu finden sowie ein Siegelvergleich nach Produktgruppen und Themen. Es wurden Transparenz, Glaubwürdigkeit, Umweltfreundlichkeit und Sozialverträglichkeit bewertet.
Gute Aussichten
Wenn die politischen Gremien es tatsächlich schaffen, zusammen und nicht gegeneinander zu arbeiten, könnte sich grundlegend etwas ändern. Wenn dann noch das Spagat gelingt, anspruchsvolle Standards zu definieren, die nicht bloße Selbstverpflichtungen sind und gleichzeitig Instrumente angeboten werden, die die Textilindustrie bei deren Umsetzung unterstützt, könnte sich das Nachhaltigkeitsrad weltweit etwas schneller drehen. Wenn die Politik ihrer Aufgabe nachkommt und für Verbraucher sichtbar macht, für welche Leder- und Textilprodukte weder Menschen ausgebeutet noch die Umwelt massiv geschädigt wird ohne bestehende, erfolgreiche Standards zu schädigen, kann ein Markt für nachhaltige Textilien und Lederwaren geschaffen werden. Wenn dann noch genügend Modeunternehmen überzeugt werden können, diesen Markt auch konsequent zu bedienen, könnten wir in ein paar Jahren ohne lange Suche saubere Textilien und Lederwaren einkaufen. Diese riesige Herausforderung zu bewältigen, wird Zeit brauchen. Es bleibt zu hoffen, dass alle, die die Problematik jetzt zumindest wahrgenommen haben, am Ball bleiben. Ein Anfang ist jedenfalls gemacht. Der IVN ist froh darüber, dass unser Anliegen in der Politik angekommen ist. Dass es nicht unmöglich ist, Steine aus dem Weg zu räumen, beweisen Erfolge wie detox und Accord und hunderte Unternehmen, die mit Standards wie dem GOTS, NATURTEXTIL BEST und NATURLEDER zertifiziert sind. Auf die kann man als Einzelhändler schon jetzt setzen!
https://www.greenpeace.de
http://www.femnet-ev.de
http://www.textilbuendnis.com
http://www.gruene-bundestag.de
https://naturtextil.de
http://global-standard.org/de