Ein Besuch bei den Klimahelden

Die iVN Academy Reise nach Ägypten war eine inspi­rie­rende Begeg­nung mit enga­gierten Menschen, leben­diger Nach­hal­tig­keit und der beein­druckenden Vision von SEKEM, Wüste in frucht­bares Land zu verwan­deln. Zwischen Baum­woll­fel­dern, Webe­reien und histo­ri­schen Stätten erlebten die Teil­neh­menden eine tiefe Verbin­dung zu Natur, Kultur und gelebtem Wandel.

Besuch auf dem Baumwollfeld

Für Naturtextiler:innen ist Ägypten mehr als das Land der Pharaonen. Ägypten ist Liefe­rant von sehr hoch­werter Baum­wolle. Im Alten Ägypten ist Baum­wolle bereits seit dem Neuen Reich (ca. 1550 v. Ch.) durch Grab­funde belegt, heute ist das weiße Gold dort wirt­schaft­lich von großer Bedeu­tung. Damit liegt der Grund für die IVN Verbands­reise dorthin schon fast auf der Hand. Ägypten ist zudem auch das Zuhause der SEKEM Initia­tive, ein Leucht­turm­pro­jekt für nach­hal­tiges Wirt­schaften, deren CEO Helmy Abou­leish uns ganz persön­lich anläss­lich der Auftakt­ver­an­stal­tung der Academy in 2023 einge­laden hatte, die SEKEM-Farm und die weit­rei­chenden Akti­vi­täten der SEKEM Holding im Bereich nach­hal­tiger Wirt­schaft und biody­na­mi­scher Land­wirt­schaft kennen­zu­lernen. É voila! Ende Oktober 2024 begann unsere kleine Rund­reise durch Stadt und Land, durch Agrar­wis­sen­schaft und Geschichte, durch Zukunfts­vi­sionen und Alltags­be­wäl­ti­gung. Eine Reise voller Inspi­ra­tionen, Freund­schaft, inter­es­santer Gespräche und Infor­ma­tionen…
Sieben Natur­textil-Unter­nehmen waren mit dabei. Die insge­samt 14 Mitrei­senden trafen sich am Sonntag Abend in Kairo zu einem Kennenlern-Dinner.

SEKEM Gäste­haus

Die SEKEM Holding

Montag früh fiel dann der eigent­liche Start­schuss, wir wurden alle gemeinsam zur SEKEM Mutter­farm geshut­tlet, die  knapp eine Stunde außer­halb von Kairo am Rand der Wüste liegt.

SEKEM wurde 1977 als biody­na­mi­sches Land­wirt­schafts­pro­jekt von Visionär Ibrahim Abou­leish gegründet.

Das Projekt wurde mit vielen inter­nationalen Preisen für sein umfang­rei­ches soziales Enga­ge­ment geehrt, u.a. mit dem Alter­na­tiven Nobel­preis (Right Lively­hood Award), den Busi­ness for Peace Award (Oslo) und dem Land for Life Award (UNCCD). Ein Vorzeige-Leuchtturmprojekt.

Heute wird das Unter­nehmen von seinem Sohn Helmy Abou­leish mit der Unter­stüt­zung seiner Frau Konstanze geführt. Beson­ders bemer­kens­wert ist der ganz­heit­liche Ansatz der Gemein­schaft, der die Bereiche Ökologie, Wirt­schaft, Gesell­schaft und Kultur mitein­ander verknüpft und dabei ein großes Stück Wüste in frucht­bares Land verwan­delt hat.

Start in den Tag im Morgenkreis

Nach­einem sehr herz­li­chen Empfang und dem Einchecken in die gemüt­li­chen Zimmer des Gäste­hauses ging es auch gleich los zur Besich­ti­gungs­tour des inspi­rie­renden Unternehmens.

Die 75 Hektar Land sind weit mehr als eine Farm. Die große Familie der insge­samt rund 500 Mitar­beiter lebt hier den Spirit der „Economy of Love“ – was auf den ersten Blick viel­leicht nach einem idea­li­sti­schen Konzept klingt, ist in Wahr­heit ein in vielerlei Hinsicht trag­fä­higes Geschäfts­mo­dell: Erfolg­rei­ches Wirt­schaften in gegen­sei­tigem Respekt und Mitge­fühl. Das konnten wir den Menschen, denen wir auf dem Gelände begegnet sind auch tatsäch­lich anmerken. Man spürte förm­lich, wie sehr diese Haltung den Alltag der Menschen hier prägt – in den Begeg­nungen, im offenen Mitein­ander, in der Art, wie gear­beitet und gelebt wird.

Zum Teil leben die Mitar­beiter mit ihren Fami­lien direkt auf dem Gelände, teil­weise in den umlie­genden Dörfern.

Demeter Anbau in der Wüste,  spannend!

Biodynamische Landwirtschaft

Als erstes bekamen wir bei der Besich­ti­gung der Kompo­stie­rungs­an­lage einen Crash­kurs zum Thema:

Eine Schlüs­sel­rolle für die Farm spielt die Erzeu­gung und der Einsatz von Kompost und so war die erste Station auch die impo­sante Kompo­stie­rungs­an­lage. Rinder und Schafe werden auf SEKEM haupt­säch­lich für die Erzeu­gung von Dung gehalten. SEKEM nutzt ihn  nicht nur für die Felder des Unter­neh­mens selbst, sondern versorgt auch die umlie­genden Bauern­höfe mit Nähr­stoffen. Über 2.000 Bauern sind dem SEKEM Netz­werk inzwi­schen ange­schlossen und so Bestand­teil der Mission, die Prin­zi­pien der nach­hal­tigen Land­wirt­schaft auf eine größere Fläche auszu­dehnen und eine posi­tive wirt­schaft­liche und ökolo­gi­sche Wirkung in der Region zu erzielen. Die Tiere werden natür­lich artge­recht gehalten, mit viel Auslauf, über­dachten Futter­plätzen, und geschützt vor Wind und Sonne.

Vorbei an Bienen­stöcken und den für Ägypten typi­schen, tradi­tio­nellen Tauben­häu­sern geht es weiter zu den Gewächs­häu­sern der Farm. Hier werden Kräuter, Tee und medi­zi­ni­sche Nutz­pflanzen gezogen – teil­weise für die. Ein Mitar­beiter hat uns gezeigt, wie das Pfropfen von Setz­lingen vonstatten geht, die für das Gree­ning the Desert Projekt in Wahat in der Wüste bis zur Einpflan­zung genutzt werden.

Probe­sitzen auf einem Werkstück

Mehr als eine Farm

SEKEM ist nicht nur ein land­wirt­schaft­li­cher Betrieb, sondern auch Ausbil­dungs­stätte für junge Menschen, die hand­werk­liche Berufe erlernen möchten. Junge Menschen finden hier nicht nur Arbeit, sondern auch Perspek­tiven: In verschie­denen Ausbil­dungs­stätten können sie hand­werk­liche Berufe erlernen, die in der Region drin­gend gebraucht werden und ihnen eine selbst­be­stimmte beruf­liche Zukunft ermög­li­chen. Im Rahmen unserer Besich­ti­gung besuchten wir die Schrei­nerei und die Metall­werk­statt, in denen sowohl Auszu­bil­dende als auch erfah­rene Fach­kräfte tätig sind.

Die hier gefer­tigten Werk­stücke entstehen über­wie­gend für den Eigen­be­darf der Farm und ihrer Einrich­tungen – dazu zählen Möbel wie Stühle und Tische ebenso wie funk­tio­nale Bauele­mente für Gebäude und Anlagen. Die Herstel­lung erfolgt mit einfa­chen, aber effi­zi­enten Mitteln und legt erkennbar Wert auf Lang­le­big­keit und Zweckmäßigkeit.

Die Mitarbeiter:innen präsen­tierten uns ihre Arbeit mit großem Enga­ge­ment und erklärten anschau­lich die verschie­denen Arbeits­schritte. Die Werk­stätten sind Teil eines praxis­ori­en­tierten Bildungs­kon­zepts, das jungen Menschen beruf­liche Quali­fi­ka­tion und gleich­zeitig eine Perspek­tive inner­halb eines nach­haltig wirt­schaf­tenden Umfelds bietet.

SEKEM Grund­schule

Spaß beim Lernen

Darüber hinaus verfügt SEKEM über eine umfas­sende soziale Infra­struktur, deren zentraler Bestand­teil ein durch­gän­giges Bildungs­an­gebot ist und das sich sowohl an die Kinder der Mitar­bei­tenden als auch an Kinder aus den umlie­genden Gemeinden richtet.
Es reicht von der Betreuung in der Krab­bel­gruppe über einen Kinder­garten und die Grund­schule bis hin zur weiter­füh­renden Schule mit der Möglich­keit, das ägyp­ti­sche Abitur zu absol­vieren.
Die Einrich­tung orien­tiert sich an der Waldorf­päd­agogik und legt beson­deren Wert auf Krea­ti­vität, ganz­heit­li­ches Lernen und indi­vi­du­elle Förde­rung.
Bei unserem Besuch wurde deut­lich, wie sehr die Kinder von diesem Umfeld profi­tieren: Ihre Neugier, die offene Lernat­mo­sphäre und der spie­le­ri­sche Umgang mit Wissen zeugten von einer leben­digen und moti­vie­renden Bildungsumgebung.

Natur­etex – die Näherei

NATURETEX – Biotextilien aus Ägypten

Beson­ders gespannt waren wir natür­lich alle auf NATUR­ETEX, eines der fünf Unter­nehmen der SEKEM Holding, das GOTS zerti­fi­zierte Texti­lien herstellt und auch für das iVN Mitglied People Wear Organic arbeitet. Auch hier haben wir deut­lich gemerkt, wie stolz hier alle auf das sind, was sie tun und welche Wert­schät­zung sie erfahren. Es war beein­druckend, mit wie viel Enthu­si­asmus uns die Mitarbeiter:innen die einzelnen Arbeits­schritte erklärt und gezeigt haben. Wir durften beim Sticken, Zwirnen, Wickeln, Stanzen, Nähen, Drucken und Verpacken zuschauen und auch einen Blick in den Show­room werfen.

Ein anschlie­ßender Besuch im NATUR­ETEX Shop durfte auch nicht fehlen und hat den Einen oder Anderen Koffer etwas voller gemacht.

Bei einem tradi­tio­nellen Bedui­nen­dinner im Garten von Sekem hatten wir nochmal Gele­gen­heit mit Helmy Abou­leish, über aktu­elle Heraus­for­de­rungen und Inno­va­tionen im Bereich Kreis­lauf­wirt­schaft und Textil­pro­duk­tion zu spre­chen. Beson­ders inter­es­sant waren Gespräche über neue SEKEM Projekte, wie die Pflan­zen­fär­bung von Texti­lien und das Recy­cling von Schnitt­ab­fällen zu Webtaschen.

Sabine Brüg­ge­mann

Das weiße Gold

Am Dienstag haben wir uns in Beglei­tung Konstanze Abou­leish von sehr früh zu einem Besuch beim „Hohen Mann“ aufge­macht. Das ist der Spitz­name von einem der Bio-Bauern, die für SEKEM Bio-Baum­wolle anbauen. Den hat er zu Recht, er ist wirk­lich sehr groß und ein echtes Unikum. Das Feld ist in Dami­etta im Nildelta und nahe am Meer/Alexandria gelegen. Hier wächst die quali­tativ extrem hoch­wer­tige Baum­wolle (extra lang), die auch das „Weiße Gold“ genannt wird.

Die Klima­helden von SEKEM waren begei­stert von unserem Besuch. Ibrahim, der Hohe Mann und seine Helfer hatten großen Spaß daran, uns die verschie­denen Reife­grade der Baum­woll­kap­seln zu zeigen, uns zu erklären, wie sie die hohe Qualität des Saat­guts bewahren und mit uns Ernte­lieder zu singen. Und wir waren genauso begei­stert. Es war schon ein beson­deres Erlebnis, selbst einmal den Rohstoff Baum­wolle zu ernten, mit dem wir sonst ja nur in verar­bei­teter Form umgehen.

Ibrahim, der hohe Mann

Wir erfuhren, dass der Klima­wandel hier spür­bare Auswir­kungen zeigt. Die Aussaat hat sich schon jetzt von Februar/März zu April/Mai verschoben. Die Ernte erfolgt in zwei Etappen, die erste Ernte bringt ca. 85 % des Ertrags und die beste Qualität, dann folgt die zweite Ernte – die wir miter­leben durften. Beide Ernten werden dann später beim Entkörnen gemischt.

Auch die Arbeits­be­ding­ungen wurden thema­ti­siert: Tage­löhner verdienen 10 ägyp­ti­sche Pfund pro Kilo bei der ersten und 15 Pfund bei der zweiten Ernte. Im Schnitt ernten sie 10 bis 15 Kilo täglich, was etwa 150 Pfund (rund 3 Euro) pro Tag entspricht. Zum Vergleich: Der durch­schnitt­liche Monats­lohn von Ernte­hel­fern lag im Jahr 2023 bei 60–70 Euro.

Durch den Erhalt von CO2 Zerti­fi­katen können die Bauern ihren Verdienst deut­lich erhöhen SEKEM stellt diese für die Klima­helden (Bioland­wirte) aus und ist in Ägypten als einziges Unter­nehmen dafür akkre­di­tiert. Außerdem gibt es Abnah­me­ga­ran­tien für die Bauern.

Ein wesent­li­cher Vorteil für die Land­wirte ist die Möglich­keit, durch den Handel mit CO₂-Zerti­fi­katen, die SEKEM ausstellt, ihr Einkommen zu stei­gern. SEKEM ist das einzige akkre­di­tierte Unter­nehmen in Ägypten, das diese Zerti­fi­kate anbieten darf. Darüber hinaus genießen die Bauern Abnah­me­ga­ran­tien für ihre Ernte. Aktuell sind etwa 13.000 Bauern Teil der SEKEM-Initia­tive, und bis Ende 2025 will SEKEM diese Zahl auf 40.000 stei­gern. Das Inter­esse ist groß, denn die Zusam­men­ar­beit mit SEKEM bringt nicht nur finan­zi­elle Vorteile, sondern auch ein hohes Ansehen – eine Urkunde, die ihre Mitgliedschaft bestä­tigt, wird vom Gouver­neur persön­lich überreicht.

In Ägypten kontrol­liert übri­gens der Staat die Saaten und legt genau fest, in welcher Region welche Baum­wolle ange­baut werden darf. Nachdem Entkörnen wird die Staat gezählt und doku­men­tiert. Die Reste, die im Folge­jahr nicht gesät werden, werden auf 55 Grad erhitzt damit diese nicht mehr keimen – eine exakte Kontrolle der Quali­täten. Der Export von Samen und Rohbaum­wolle ist verboten. All das und noch viele weitere Fakten und Anek­doten haben wir vom Hohen Mann auf dem Feld und von Konstanze Abou­leish erfahren.

Moringa-Anbau – Jette Siegert

Greening the Desert: die Wahat El-Bahareya Oase

Am Mitt­woch hieß es dann noch früher Aufstehen. Die Fahrt zur SEKEM Oase dauerte über 6 Stunden – und hat sich absolut gelohnt.

Nach der Begrü­ßung durch Farm-Chef Mohamed Salah gab es eine Besich­ti­gungs­tour per Bus – die Farm ist sehr weit­läufig … Die Wüsten­farm umfasst aktuell über 1.400 Hektar. Über ein Viertel konnte schon durch den Verkauf von CO2-Zerti­fi­katen und Crowd­fun­ding in land­wirt­schaft­liche Flächen umge­wan­delt werden.

Erste Station war ein Feld mit Moringa-Bäumen. Sie werden mit Kaktus­feigen zusammen ange­baut, zum opti­malen Wasser­nut­zung. Die Kakteen spei­chern das Wasser und geben es bei Bedarf wieder an die Umge­bung ab. Das Ziel ist durch die rich­tige Zusam­men­stel­lung der Pflan­zung den normalen Wasser­ver­brauch auf ein Vier­zig­stel zu senken.

Pivot-Bewäs­se­rung

Die effi­zi­ente Nutzung von Wasser ist im Wüsten­kon­text ein zentrales Element nach­hal­tiger Land­wirt­schaft – entspre­chend spielt das Thema Bewäs­se­rung auf der SEKEM-Farm eine Schlüs­sel­rolle. Während unseres Besuchs konnten wir einen umfas­senden Einblick in die unter­schied­li­chen einge­setzten Bewäs­se­rungs­sy­steme gewinnen, die speziell auf die klima­ti­schen und geolo­gi­schen Bedin­gungen vor Ort abge­stimmt sind.

Tröpf­chen­be­wäs­se­rung, Unter­bo­den­be­wäs­se­rung und die beein­druckenden Pivot-Bewäs­se­rungs­an­lagen. Bei den voll­au­to­ma­ti­schen Kreis­be­reg­nungs­an­lagen  dreht sich ein langes, fahr­bares Gestänge um einen zentralen Punkt und bewäs­sert dabei die Fläche in einem großen Kreis.

Das Wasser wird nach dem Gießen per Dränage in Gruben gesam­melt und dann aufbe­reitet und wieder verwendet. Betrieben wird das alles mit Sonnen­en­ergie – überall auf dem Gelände konnten wir die Kollek­toren sehen.

Konzert im Amphitheater

SEKEM fördert auch hier in der Wüste Kunst und Kultur. Regel­mäßig können die Mitar­bei­tenden und ihren Fami­lien an Work­shops und krea­tiven Projekten auf der Farm teil­nehmen. Eine Kost­probe haben wir am Abend im farm­ei­genen Amphi­theater bekommen, mit einem Konzert arabi­scher Popmusik.

Ein High­light zum Abschluss des Abends war dann eine Gesprächs­runde mit Helmy Abou­leish und den IVN Mitglie­dern. Wir hatten Gele­gen­heit, Fragen zu stellen und mehr zu Themen wie Wasser­ver­brauch, Boden­be­schaf­fen­heit oder die näch­sten Ziele des Wüsten­pro­jekts zu erfahren.

Hier in den Wüsten­dör­fern hat die Förde­rung von Frauen eine noch größere Bedeu­tung als in der Gegend um Kairo. SEKEM „holt Sie aus dem Haus und ermög­licht ihnen die Teil­habe“, erklärt Helmy. Grund­sätz­lich werden den Mitar­bei­tenden und auch den Bauern faire, also existenz­si­chernder Löhne gezahlt, sie genießen Kran­ken­schutz, Versi­che­rungen und ein kultu­relles Angebot. So ist SEKEM ein attrak­tiver Arbeit­geber und die vernetzten Bauern öffnen sich der Idee des biody­na­mi­schen Anbaus schnell.

Die Kühle im ägyp­ti­schen Schwarzwald

Der ägyptische Schwarzwald

Zusammen mit Helmy bekamen wir am Donnerstag die Gele­gen­heit, am Morgen­kreis der Mitar­bei­tenden teil­zu­nehmen. An jedem Morgen um 7:40 Uhr versam­meln sich hier – wie auch der SEKEM Mutter­farm – alle zum Start in den Tag. Zu Anfang gibt es gewöhn­lich ein Zitat als Tages­motto, dann wird sich dazu ausge­tauscht. Bei dem Zitat an diesem Morgen geht es um das Lächeln, mit dem wir andern begegnen, nicht nur Freude schenkt, sondern uns auch selbst wieder begegnet. Die respekt­volle aber lockere Stim­mung waren richtig erfri­schend, es wurde ordent­lich gelacht.

Die anschlie­ßende Fort­set­zung der Besich­ti­gungs­tour fand mit Helmy statt. Auf dem Weg der vielen einzelnen Stationen konnten wir die einzelnen Fasen der Wüsten­be­grü­nung eindrück­lich nach­voll­ziehen. Die vielen Hektar Land werden im Lauf der Jahre Steifen für Streifen fruchtbar gemacht – die unter­schied­li­chen Baum­größen und die Boden­be­schaf­fen­heit machen das sehr deut­lich. Ein kurzer Spazier­gang durch „Schwarz­wald der Wüste“, wie Helmy ihn nennt hat uns fühlen lassen, was für eine unglaub­liche Wirkung die Bewal­dung hier hat. Der kleine Wald kühlt die Luft im Sommer bis zu 20 Grad runter.

Abwas­ser­labor

Inter­es­sant war auch der „Bota­ni­sche Garten“, das Gelände für den Versuchs­anbau der Farm. Hier werden Anbau­stra­te­gien für verschie­dene Nutz­pflanzen gete­stet und welche Pflanzen am Standort gut funk­tio­nieren– von Kräu­tern über Tees bis hin zu Heil­pflanzen. Es dauert durch­schnitt­lich ein Jahr bis die Entschei­dung getroffen werden kann, ob eine Pflanze ange­baut wird oder nicht. Der benö­tigte Kompost wird selbst­ver­ständ­lich auch hier vor Ort selbst erzeugt.

Im eigenen Labor, das wir uns auch kurz ange­schaut haben, werden Wasser­proben auf verschie­denste Para­meter hin analy­siert. Dabei geht es einer­seits darum, das Abwasser zu unter­su­chen, aber auch auch die Qualität von Frisch- und Trink­wasser zu kontrol­lieren. Auch die Bakte­ri­en­züch­tung für den Anbau ist eines der Arbeitsfelder.

Zum Schluss haben wir noch einen kurzen Blick in die Schule und den Kinder­garten geworfen, 110 Kinder betreut die Einrich­tung momentan. Die Nach­frage ist so groß, das gerade weitere Gebäude entstehen. Auch hier findet der Unter­richt im Waldorf-Prinzip statt und schein den Kindern viel Spaß zu machen.
Dass uns Helmy Abou­leish selbst auf der Tour begleitet hat, war etwas ganz Beson­deres. Zu erleben, wie der Mann vor Ideen zur Verbes­se­rung der Umwelt und den Lebens­be­dingen für seine große Familie nur so sprüht und diese auch erfolg­reich umsetzt – extrem moti­vie­rend!
Darüber hinaus haben wir noch einmal super viele Infos, Funfacts und Insights erhalten.

Ein paar weinige Beispiele:
Das Land, auf dem die Farm entsteht, muss zweimal gekauft werden. Einmal von den Beduinen, die das Land in Anstel­lung auch weiter bewirt­schaften und noch einmal vom Staat- quasi wie bei uns die Grundsteuer.

Es wurden in den 15 Jahren, in denen der Boden jetzt bewirt­schaftet wird, rund 400.000 Bäume gepflanzt. Das kurz­fri­stige Ziel ist es, bis Ende 2027 die Million zu erreichen.

Es wird derzeit ein Verfahren entwickelt, wie man aus dem Abfall der Dattel­bäume (auf der Farm und vor allem auch von außer­halb) , ein Torfer­satz herge­stellt werden kann, statt sie zu verbrennen. SEKEM baut gerade bereits Verar­bei­tungs­ge­bäude für diesen Zweck. Wir reden hier von über 100.000 Bäumen.

Unge­fähr zwei Jahre brau­chen die ange­pflanzten Bäume, um 4 Meter hoch zu werden. Es werden Misch­wälder ange­pflanzt um die Äcker vor Sand­stürmen und Abdrift benach­barter Felder zu schützen und der Erosion entgegenzuwirken.

Wir waren ja schon von der Farm nahe Kairo beein­druckt, aber Wahat hat nochmal deut­li­cher gezeigt, was man mit Pionier­geist, Inno­va­tion, Visionen und Verbun­den­heit alles errei­chen kann.
Schweren Herzens nehmen wir Abschied! Zutiefst beein­druckt und auch ein biss­chen berührt klet­tern wir wieder in den Bus für die Rück­fahrt nach Kairo.

Fatmas Wohn­zimmer

Zu Gast bei Fatma

Am Abend war noch ein „Family Hosted Dinner“ gebucht – ein Tipp von Lamis Abbushi-Rawash, unsere Reise­lei­terin. Eine ägyp­ti­sche Familie hat uns bekocht und wir bekamen einen Eindruck in das Leben von Fatma und ihrem Mann, er ist bei der Polizei, sie ist Hausfrau.

Nachdem ihre Kinder nun schon fast erwachsen sind, hatte Fatma den Wunsch nicht mehr länger „nur“ Mutter zu sein und eine staat­liche Zulas­sung für diese Dinner-Veran­stal­tungen und Koch­kurse absol­viert. Wir hatten also einen Einblick in ihren Alltag und eine Menge sehr leckerer ägyp­ti­scher Speisen.

Um uns ihre Welt zu zeigen, bekamen wir Einblicke in Foto­alben, Kunst­werke der Tochter und wurden mit tradi­tio­nellen Kopf­be­deckungen ausge­stattet – lustige Bilder und eine schöne Erinnerung â€¦

Grand Egyp­tian Museum

Sight-Seeing in Kairo

Zurück in Kairo im Hilton Ramses ist das üppige Früh­stück am Freitag nach den authen­ti­schen Aufent­halten der letzten Tage fast ein biss­chen surreal. Aber die letzten Tage unserer Reise waren eher touri­stisch und daher passte das sogar ganz gut.

Unsere erste Sehens­wür­dig­keit war das Neue Museum Grand Egyp­tian Museum in Kairo. Das Gebäude selbst ist schon sehens­wert. Die klare und moderne Archi­tektur kontra­stiert, aber konkur­riert nicht mit den histo­ri­schen Expo­naten im Inneren, die durch eine moderne Kura­tie­rung bestechen. Aufge­teilt in vier histo­ri­sche Peri­oden und drei Lebens­be­reiche (Gesell­schaft, Herr­scher und Glauben) sind alle Arte­fakte über­sicht­lich ausge­stellt – und es sind unglaub­lich viele: über 100.000 Stück.

Die Pyra­miden von Gizeh sind quasi Pflicht­pro­gramm bei einem Besuch in Kairo. Und es ist schon bemer­kens­wert, vor diesen viele Tausend Jahre alten Gebäuden zu stehen. Die vielen Touri­sten haben den Eindruck ein biss­chen abge­schwächt, aber beim Lunch hatten wir von der Restau­rant-Terrasse noch einmal einen Gesamt­über­blick mit etwas Abstand auf das Gelände mit allen Pyra­miden – und das war dann auch wirk­lich wie ein kleiner Sprung in die Welt der Pharaonen der Vergangenheit.

Pyra­miden von Gizeh

Hand­web­tep­pich im Wissa Wassef Center

Wissa Wassef Art Center

Zurück zum Textil-Thema: Der nächste Programm­punkt des Tages war der Wissa Wassef Art Center, eine Werk­statt und Schule für Weberei, Färberei, Batik und Skulp­turen. Eigent­lich nur als kurzer Zwischen­stopp auf dem Weg gedacht, wurde das Zentrum zu einem weiteren High­light unserer Reise.

Es ist bekannt für seine außer­ge­wöhn­li­chen hand­ge­webten Wand­tep­piche und ist ein wich­tiger Ort zur Förde­rung tradi­tio­neller ägyp­ti­scher Hand­werks­kunst, vor allem des Webens. Die Mate­ria­lien werden tradi­tio­nell mit Pflanzen gefärbt, die im Garten der Schule auch ange­baut werden.

Wir waren über­rascht, wie kunst­voll und kreativ die ausge­stellten Objekte sind. Die jungen Frauen, die hier geför­dert werden sitzen oft Monate lang an einzelnen Teppi­chen. Hier schloss sich auch der Kreis zu SEKEM, die zum Projekt Pflan­zen­fär­bung bereits im Austausch mit Suzanne Wissa Wassef, Leiterin und Tochter des Grün­ders stehen.

Ein Besuch auf dem bekann­te­sten Markt Kairos, dem Khan El Khalili, durfte im Programm nicht fehlen. Das tradi­tio­nelle Handeln gehört einfach zur Kultur in Kairo dazu. Inter­es­san­ter­weise waren Touri­sten eher in der Unterzahl.

Hand­web­tep­pich im Wissa Wassef Center

Das Koptische Viertel Kairos

Am letzten gemein­samen Tag in Kairo stand vormit­tags ein Streifzug durch verschie­denen Gottes­häuser. Es wr inter­es­sant, wie viele Glau­bens­rich­tungen hier seit vielen Jahr­hun­derten zuhause sind.

Die Blaue Moschee in Kairo, offi­ziell die Aqsunqur-Moschee genannt, wurde 1347 vom Mamlu­ken­für­sten Amir Aqsunqur errichtet. Sie ist bekannt für ihre einzig­ar­tigen blauen Fliesen, die im 17. Jahr­hun­dert von dem osma­ni­schen Beamten Ibrahim Agha hinzu­ge­fügt wurden.

Al-Mu’al­laqa, auch bekannt als „Hängende Kirche“, ist eine der älte­sten und bekann­te­sten koptisch-ortho­doxen Kirchen in Kairo. Sie erhielt ihren Namen, weil sie über einem Torhaus der antiken römi­schen Festung Babylon erbaut wurde und durch ihr erhöhtes Funda­ment den Eindruck erweckt, als würde sie hängen.

Die Abu-Serga-Kirche, gehört zu den älte­sten und bedeu­tend­sten koptisch-christ­li­chen Kirchen in Kairo. Im 4. oder 5. Jahr­hun­dert wurde sie an der Stelle errichtet, an der die Heilige Familie – Maria, Josef und das Jesus­kind – laut Über­lie­fe­rung während ihrer Flucht nach Ägypten Schutz suchten.

Die Ben-Ezra-Synagoge in Kairo, die älteste ihrer Art in Ägypten, wurde im 9. Jahr­hun­dert erbaut. Bekannt ist sie vor allem als Standort der legen­dären Kairo-Geniza, einer Samm­lung von etwa 300.000 histo­ri­schen Doku­menten und Manu­skripten, die wert­volle Einblicke in das jüdi­sche Leben und die reli­giöse Geschichte des Mittel­al­ters liefern. Heute fungiert die Synagoge als Museum und erin­nert an das histo­ri­sche, jüdi­sche Erbe Ägyptens.

Mit vielen inter­es­santen Eindrücken aus den beson­deren Erleb­nissen im Gepäck endete dann die erste iVN Academy-Reise. Wir werden es sicher wieder tun!