Textilrelevante Nachhaltigkeitssiegel
Vom Verbraucher über den Handel bis zur Industrie, für alle haben sie Einzug in den Alltag gehalten. Für manche sind sie von zentraler Bedeutung, andere nehmen sie nur am Rande wahr. Für manche sind sie Fluch, für die meisten sind sie Segen: Textile Nachhaltigkeits-Siegel.
Auf der einen Seite sind Zertifizierungen mit höheren Kosten und gesteigertem Personalaufwand verbunden. Andererseits werden Produktsiegel für Verbraucher immer mehr zum kaufentscheidenden Argument. Das hat einen guten Grund, denn zumindest die bekannten und „guten“ Siegel zeigen beim Kauf auf einen Blick, dass Produkte nachhaltig produziert wurden. Das bedeutet auch für den Handel ein Marketing mit vergleichsweise geringem Kommunikationsaufwand.
Für Produzenten und Händler sind vor allem die Qualitätszeichen ein hervorragendes Instrument zur Qualitätssicherung, die eine gewisse Rückverfolgbarkeit der Produkte gewährleisten. Sie garantieren nämlich, dass alle Lieferanten und Vorlieferanten die Anforderungen, die das Siegel an die Unternehmen und Produkte stellt, eingehalten werden.
Es ist nicht einfach, ein gesamtes Sortiment mit zertifizierter und folglich gelabelter Ware zu bespielen. Hier punkten eindeutig diejenigen, die sich im Siegeldschungel gut auskennen. Denn je mehr nachhaltigen Siegeln man vertrauen kann, desto mehr Auswahl hat man bei der Order und desto besser kann man seine Kunden beraten. Um für den Kunden glaubwürdig zu bleiben, muss man aber die Spreu vom Weizen trennen können bei den vielen „Siegeln“, „Labeln“ oder „Qualitätszeichen“ die es auf dem Markt gibt.
Welches sind die Guten?
So unterschiedlich die rund 100 Organisationen sind, die über 120 textilrelevante Nachhaltigkeitssiegel vergeben, so verschieden sind auch die bunten Orientierungshilfen. Es ist also eine recht komplexe Sache zu beurteilen, ob ein Siegel zu den eigenen Ansprüchen und Prioritäten passt und ob sie wirklich eine Aussagekraft haben. Es stellt sich nicht nur die Frage was ein Siegel abbildet, welche Nachhaltigkeits-Aspekte es bewertet, sondern auch wie glaubwürdig, konsequent und transparent es das tut. Besonders für den Handel ist es von Bedeutung, wie marktrelevant ein Siegel ist. Dieser Artikel ist der Versuch, die wichtigsten Textilsiegel zu vergleichen und ansatzweise zu bewerten. Die Übersichtstabelle ist als Orientierungshilfe gemeint, denn welche Nachhaltigkeitsaspekte einem am wichtigsten sind, muss jeder selbst entscheiden. Als Informationsquellen für die Bewertung wurden die Plattformen im grünen Kasten heran gezogen.
Strukturelle Aspekte
Um einer Produktkennzeichnung vertrauen zu können, muss diese in erster Linie glaubwürdig sein. Die Glaubwürdigkeit eines Siegels hat hauptsächlich mit den Richtlinien zu tun, die die Basis für die Zertifizierung bilden und mit dem Herausgeber dieser Richtlinie, also dem Siegelinhaber. Die Unabhängigkeit zwischen Standargeber, Zertifizierer und zertifizierten Unternehmen ist in diesem Zusammenhang wichtig, genauso wie der Verpflichtungsrad eines Standards. Handelt es sich um einen „Pass-Fail-Standard“, bei dem man kein Zertifikat erhält, wenn man die Kriterien nicht erfüllt, um einen „Comply or Explain“-System, bei dem man lediglich offen legen muss, warum man bestimmte Anforderungen nicht erfüllen kann oder um ein „Improvement“-Konzept, bei dem man sich als Unternehmen vom Nachhaltigkeits-Anfänger bis zum Best-Practise-Unternehmen entwickeln kann. Einige weitere strukturelle Anforderungen an Standards, wie z.B. Sicherheit, Anforderungstiefe den Multi-Stakeholder-Ansatz bei Revisionen, sind ebenfalls in die Bewertung der Glaubwürdigkeit mit eingeflossen.
Ein weiterer wichtiger struktureller Aspekt von Standards ist Transparenz, also in wie weit die gesiegelte Ware laut Standard rückverfolgt werden muss und in wie weit Anforderungen an eine transparente Produktkennzeichnung gestellt werden. Der Standard selbst oder Informationen zum Kontrollsystem sollten öffentlich einsehbar sein. Es geht sowohl um die Transparenz des Standards als auch um die der gesielten Ware.
Die Konsequenz eines Siegels sagt sehr viel darüber aus, welchen Wirkungsgrad es hat. Wenn wir die textile Wertschöpfungskette in fünf Glieder oder Phasen aufteilen – Rohstoffgewinnung, Produktion, Handel/Transport, Nutzungsphase, Entsorgung/Rückgewinnung – bringen die Standards am meisten, die ein Produkt aus allen fünf Ebenen bewerten – theoretisch. In der Praxis wäre eine Abdeckung aller fünf Phasen zu komplex und anspruchsvoll. Dennoch gilt es zu unterscheiden, ob ein Siegel beispielsweise nur den Baumwollanbau oder Schadstoffe im Endprodukt betrachtet oder eine ganzheitliche Beurteilung vornimmt.
Umweltaspekte
Am Beginn der textilen Produktionskette steht die Faserproduktion. Da wir als IVN die Umweltverträglichkeit von synthetischen und Regenerat-Fasern in Frage stellen, interessiert uns natürlich, ob und zu wie viel Prozent ein Standard den Einsatz von Naturfasern fordert. Die Bewertung war hier etwas kompliziert, denn die Faser-Standards schreiben nicht alle vor, ab wie viel Prozent Einsatz der zertifizierten Faser im Endprodukt eine Kennzeichnung erfolgen darf. Die Bewertung in dieser Spalte bezieht sich auf den geforderten Anteil im Endprodukt.
Es genügt bekanntermaßen nicht, nach Naturfasern zu fragen, erst Bio-Fasern aus kontrolliert biologischem Anbau oder kontrolliert biologischer Tierhaltung sind als Rohstoff nachhaltig. Pestizideinsatz, Gewässerschutz, Biodiversität, Bodenerosion, artgerechte Tierhaltung und das Verbot von Gentechnik sind nur einige Stichpunkte für kontrolliert ökologische Landwirtschaft.
Es gibt einige Standards, die Gentechnik verbieten, ohne Bio-Fasern vorzuschreiben. Aus diesem Grund und weil wir das Verbot von Gentechnik als wichtig erachten, haben wir hier eine separate Bewertung vorgenommen. Gentechnik wird übrigens nicht nur auf dem Feld für Baumwollsaatgut eingesetzt, sondern auch bei Enzymen, die in der Textilproduktion eingesetzt werden.
Welche Chemikalien im Produktionsprozess eingesetzt werden dürfen, hat nicht nur ökologische Konsequenzen. Auch die Gesundheit der Arbeiter, hängt davon ab, welche Chemikalien erlaubt sind. Die Bewertung unter Chemikalieninput sagt aus wie viele gesundheits- und umweltschädliche Substanzen verboten oder eingeschränkt sind und bei wie vielen Produktionsprozessen das Verbot gilt.
Beim Thema Wasser ist es einerseits interessant, ob ein Standard den Wasserverbrauch regelt. Beim Faseranbau gilt es, effiziente Bewässerungssysteme einzusetzen oder ganz auf eine Bewässerung zu verzichten. In der Produktion gibt es verschiedene Verfahren, die sparsamer mit Wasser umgehen als andere, vor allem beim Drucken, Färben und Ausrüsten. Es geht jedoch nicht nur darum, Wasser einzusparen, auch die Abwasserbehandlung sollte in Prozess-Standards geregelt sein. Welche Kläranlagen sind vorgeschrieben, werden Grenzwerte für Abwässer gesetzt, wie oft müssen Proben entnommen werden etc.
Der Parameter Energie betrachtet, ob ein Standard Vorschriften zum Energieverbrauch macht oder zum Einsatz erneuerbarer Energien.
Nachhaltiges Abfallmanagement gewinnt rasant an Bedeutung, das sollte ein Standard wiederspiegeln. Das gilt auch für die reinen Rohstoff-Standards. Beinhaltet der Standard Kriterien für Abfallmengen, Entsorgung, Mülltrennung oder gibt es sogar Vorgaben zum Thema Recycling oder Kompostierung der angefallenen Abfälle?
Einige wenige Standards bewerten auch, was mit einem textilen Produkt nach dem Gebrauch (After Use) geschehen sollte. Sie stellen Fragen nach der Kompostierbarkeit eines Produktes, Rücknahmesysteme für gebrauchte Ware, Recycelbarkeit oder Sortenreinheit der einzelnen Bestandteile.
Sozialaspekte
Unter Grundrechten sind hier das Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit, das Verbot von Diskriminierung und Misshandlung, Vereinigungsfreiheit, Arbeitszeitenregelung und Arbeitsverträge zusammen gefasst. Hier kommt es darauf an, wie viele Aspekte ein Standard bewertet und auch darauf, wie überprüft wird. Kontrolliert ein Inspektor lediglich Arbeitsverträge und betrachtet sie Situation während seiner Anwesenheit oder gibt es beispielsweise ein anonymes Beschwerdesystem für Arbeiter. Bindet der Standardgeber Nichtregierungs-Organisationen vor Ort ein, werden Interviews mit Arbeitern auch außerhalb des Firmengeländes vorgenommen?
Die Sicherheit der Menschen, die unsere Textilien herstellen ist seit Rana Plaza in aller Munde. Es geht jedoch nicht nur um Gebäudesicherheit, die die meisten Standards ohnehin nicht abbilden. Es geht auch darum, wie gut Arbeiter im Umgang mit gefährlichen Chemikalien geschult sind, ob sie Schutzkleidung zur Verfügung haben, ob Brandtschutz-Vorschriften eingehalten und Fluchtwege gekennzeichnet sind.
Der letzte Parameter im sozialen Bereich, die Existenzsicherung ist ein heikles Thema. Alle sind sich einig, dass existenzsichernde Löhne gezahlt werden sollten, allerdings sind diese nicht in allen Ländern definiert und weichen nach oben hin stark von den gesetzlichen Mindestlöhnen ab. Es geht hier aber auch um langfristige und faire Geschäftsbeziehungen, um Bildung und Infrastruktur.
Qualität des Produktes
Produkte mit überprüften Qualitätsparametern sind gerade für Händler wichtig, um Reklamationen zu minimieren. Licht‑, Reib‑, Schweiß‑, Speichel- und Waschechtheiten, Einlaufwerte oder Reißfestigkeit sind nur einige Parameter, die die Langlebigkeit von Produkten maßgeblich beeinflussen.
Schadstoffe, die in Produkten stecken, belasten die Umwelt und machen krank. Dieser Parameter ist für Verbraucher also ganz besonders wichtig. Je mehr Schadstoffe im Produkt durch einen Standard mit Grenzwerten belegt sind, desto besser!
Für diejenigen, die in ihrem Sortiment einen speziellen Fokus haben, gibt es noch weitere Siegel, die nur einzelne Aspekte der Nachhaltigkeit betrachten, die hier nicht aufgelistet sind. Beispielsweise gibt es für vegane Produkte das Siegel „PETA-Approved Vegan“, das „ECARF“ Siegel für allergikerfreundliche Produkte oder den „Global Recycling Standard“, der die Rückverfolgbarkeit von Recycling-Fasern sicherstellt.
In der Tabelle zu den Siegeln finden Sie noch weitere Informationen zur Bewertung. Die Komplexität einer Gegenüberstellung von Siegeln kann in einer Kurzübersicht nicht wirklich dargestellt werden. Und letztlich bleibt ein solcher Vergleich immer auch ein wenig subjektiv. Allen, die das Siegelthema selbst noch einmal vertiefen möchten, seien die Plattformen, die hier als Quellen gedient haben nochmals empfohlen.
Autorin: Heike Hess
Quellen:
www.siegelklarheit.de
www.greenpeace.de
www.femnet-ev.de
www.ci-romero.de
www.itfits.de
Illustration: Axel Hess