Tierfreie Kleidung? Ein Diskurs zu veganer Mode
Vegane Mode als Trend
Oberflächlich betrachtet ist das Angebot an veganer Mode recht groß. Denn wenn man Textilien, die ohne den Einsatz tierischer Fasern erzeugt wurden, als vegan ansieht, findet man eine sehr breite Auswahl in den Ladenregalen. Der Marktanteil von Fasern nicht tierischen Ursprungs liegt auf dem Weltmarkt derzeit bei über 90 %. Pflanzliche Fasern, wie Baumwolle, Leinen, Hanf oder Nessel, aber auch Synthetik- oder Regeneratfasern gibt es also in Hülle und Fülle. So fällt es leicht, auf Wolle, Seide oder Edelhaare zu verzichten.
Und genau so leicht fällt es den Modebrands, Produkte aus man-made fibres oder Pflanzenfasern als vegan zu bewerben – auch wenn der Einsatz von nicht tierischen Fasern noch kein veganes Textil ausmacht. Prominente Vorbilder lassen die vegane Modewelle seit einiger Zeit zu einem wahren Hype werden. Die Musikerin Pink, Schauspielerin Natalie Portman oder Politiker-Tochter Celsea Clinton kleiden sich beispielsweise tierfrei. Thomas D. von den Fantastischen Vier, Schauspielerin Marion Kracht oder die Designerin Stella McCartney haben inzwischen erfolgreich eigene vegane Kollektionen auf den Markt gebracht und kleinere Vorreiter-Brands wie Umasan, Muso Korini oder das Schuh-Label Lylium haben sich in der veganen Modeszene einen Namen gemacht.
Populäre vegane Siegel unter der Lupe:
Die Vergabe erfolgt durch die Vegan Society England bislang vorwiegend für Lebensmittel. Tierbestandteile dürfen in Produkten, die mit diesem Siegel gekennzeichnet sind, nicht enthalten sein. Der gesamte Produktionsprozess muss tierversuchsfrei sein und die Herstellung und/oder die Entwicklung von gentechnisch veränderten Organismen darf keine Tiergene oder Derivate von tierischen Substanzen beinhalten. Es findet jedoch keine transparente, staatliche Kontrollen statt.
Dieses Zeichen wird von der Tierrechts-Organisation PeTA vergeben und ist eher lizenzrechtlicher Natur. Es bezeichnet lediglich Produkte, die nicht von Tieren stammen, also weder Pelz,
Leder, Seide, Daunen oder Wolle enthalten. Eine Selbstauskunft genügt dafür, dass das Siegel genutzt werden kann – oder eine Mitgliedschaft beim Siegelinhaber. Nähere Informationen zu den Anforderungen zur Vergabe sind nicht online.
Was heißt hier eigentlich „vegane Mode“?
Kleidung, die aus Baumwolle besteht, ist genauso wenig konsequent vegan wie es Schuhe aus Kunstleder sind. Viele Komponenten unserer zweiten Haut sind tierischen Ursprungs oder können bei ihrer Herstellung Tierleid mit sich bringen. Veganismus spricht jedoch leidensfähigen Lebewesen das Recht auf Leben, Unversehrtheit und Freiheit zu und impliziert daher nicht nur den Verzicht auf tierische Produkte jeder Art, sondern auch die Befürwortung von umfassenden Tierrechten. Nehmen wir beispielsweise Chemikalien, die für die Herstellung von Textilien und Lederprodukten eingesetzt werden.
Für einige textile Ausrüstungsverfahren werden beispielsweise Enzyme eingesetzt, die tierischen Ursprungs sind. Farb- und Hilfsmittel werden noch immer in Tierversuchen getestet. Klebstoffe, die vor allem bei der Schuhproduktion eingesetzt werden, bestehen sehr oft aus Inhaltsstoffen, die tierischen Ursprungs sind oder zumindest ebenfalls an Tieren getestet wurden. Kunststoffe bestehen häufig aus Rohöl, dessen Förderung auf See zu Lasten der Unterwasserwelt geht und dessen Verklappung für das Sterben tausender Vögel sorgt. Zutaten und Accessoires können ebenfalls aus tierischen Materialien bestehen.
Das Etikett an der Jeans ist vielleicht aus Leder, die Knöpfe an der Bluse aus Horn oder die Schmuck-Schließe aus Perlmutt. Auch der konventionelle Anbau von Pflanzenfasern stellt eine Bedrohung der Tierwelt dar. Tausende von Nutzinsekten sterben durch den Einsatz von gentechnisch verändertem Saatgut oder synthetischen Insektiziden. Mit Fug und Recht behaupten, dass man ein veganes Kleidungsstück oder vegane Schuhe und Accessoires herstellt beziehungsweise verkauft, kann streng genommen also nur, wer sämtliche Bestandteile und Produktionsschritte seines Produkts kennt.
Pflanzenfasern müssten aus kontrolliert biologischem Anbau stammen, eingesetzte Chemikalien müssen in der Zusammensetzung bekannt sein und dahin gehend getestet, dass sie nicht fischgiftig sind, wenn sie ins Abwasser gelangen. Es muss klar sein, woraus Knöpfe, Aufnäher, Etiketten oder Schnürsenkel bestehen und welche Klebstoffe eingesetzt wurden. Es gibt zwar Siegel, die dem Verbraucher anzeigen, dass die ausgezeichneten Produkte frei von tierischen Inhaltsstoffen sind, die Bezeichnung „vegan“ ist jedoch nicht gesetzlich definiert und oder geschützt. Die Kontrollen sind nicht transparent.
Wie sinnvoll ist vegane Mode?
Der Wunsch auf Kleidung auf tierische Fasern zu verzichten ist nachvollziehbar, denn deren Erzeugung ist aus der Sicht des Tierschutzes problematisch. Wenn man auch darüber diskutieren kann, ob die vegane Lösung ethisch gesehen „ausreicht“, gibt es einige Beispiele, die Verbraucher nachdenklich stimmen sollten. Konventionelle Seide kommt für Tierschützer nicht in Frage, denn in der konventionellen Maulbeerseiden-Gewinnung werden die Seidenspinnerraupen durch Heißluft oder kochendes Wasser in ihren Kokons abgetötet, nachdem sie sich verpuppt haben.
Der Seidenkokon besteht aus einem einzigen langen Endlosfaden (bis zu 1000m). Lässt man die Seidenraupe schlüpfen, frisst sie sich durch den Kokon in die Freiheit und zerstört diesen Endlosfaden an mehreren Stellen. Durch das Abtöten bleibt zwar der Kokon unversehrt und die Seide kann an einem Stück abgehaspelt (abgewickelt) werden, aber die Raupe kann nicht mehr als Falter das Licht der Welt erblicken. Bei der Ahimsa-Seidenherstellung lässt man die Raupen entweder auf natürliche Weise schlüpfen oder man befreit sie zum rechten Zeitpunkt durch manuelles und vorsichtiges Öffnen des Kokons.
Beide Verfahren garantieren das Überleben der Raupen. Der Kokon liefert in beiden Fällen kürzere Fadenstücke als bei der konventionellen Methode des Abtötens, was die Weiterverarbeitung aufwändiger und teurer macht. Außerdem sind Stoffe aus Ahimsa-Seide nicht so einheitlich und glatt wie die von getöteten Seidenraupen. Ahimsa-Seide hat übrigens nichts mit Bio-Seide zu tun. Bei Seide aus kontrolliert ökologischer Tierhaltung geht es hauptsächlich um den Anbau der Maulbeerbäume, mit deren Blättern die Seidenraupen gefüttert werden. Ein Siegel für gewaltfreie Seide gibt es nicht. Auch GOTS und NATURTEXTIL BEST schreiben zwar den Einsatz von kbT-Fasern vor, nicht aber dass gewaltfreie Seide eingesetzt werden muss.
Tierquälerei bei konventionell hergestellter Wolle und Angora
Die konventionelle Schafzucht zur Gewinnung von Wolle ist durchaus nicht das, was sich Tierschützer wünschen. In Australien und Neuseeland ist die am meisten verbreitete Schafrasse das Merino. In den Hautfalten des Tieres sammeln sich Urin und Feuchtigkeit an. Eine Fliegenart, die nur in dieser Region vorkommt, legt, davon angezogen, ihre Eier zwischen diesen Falten ab, insbesondere am Hinterteil. Die Larven des Schädlings fressen die Schafe anschließend buchstäblich bei lebendigem Leib auf. Um den Befall zu verhindern, werden den Lämmern ohne Betäubung und medizinische Nachversorgung große Fleischstreifen von den Hinterbeinen und im Bereich des Schwanzes abgeschnitten. Diese Methode, die sich Mulesing nennt, ist zumindest in Australien inzwischen bei Schafen aus ökologischer Schaftzucht verboten.
Auf großen US amerikanischen Schaffarmen werden die Scherer nicht stundenweise sondern meistens pro Schaf bezahlt. Zeit ist also Geld. Die Männer stehen unter großem Zeitdruck in der Zeit der Schur und werden häufig aggressiv und unachtsam. Entsprechend qualvoll ist die Schur für die Schafe. Sie werden getreten, geschlagen oder anderweitig misshandelt, das Abrutschen der Schermaschine führt häufig zu groben Verletzungen bei den Tieren. Ein weiterer Missstand ist – wie bei allen größeren Tieren – der Lebendtransport zum Schlachten. Auf riesigen Schiffen, auf denen die Schafe dicht gedrängt stehen, werden sie über lange Strecken zum Schlachten transportiert. Es kommt leicht zum Ausbruch von tödlichen Seuchen, bei Temperaturen von über 40°C sterben Tausende Tiere an Hitzschlag. Die Schafe werden immer wieder brutal getreten und im nahen Osten, der Schlachthof Australiens, wird den Schafen nicht selten ohne Betäubung einfach die Kehle aufgeschnitten. Dieser qualvolle Tod wäre in Australien oder Deutschland illegal, die Standards der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) regeln den Umgang, den Transport und das Schlachten von Tieren.
Angorawolle stammt von sogenannten Angorakaninchen. In China, woher ca. 90 Prozent der Angorawolle stammen, leben die meisten Tiere auf viel zu engem Raum. Den Kaninchen wird gewaltsam das Fell aus der sensiblen Haut gerissen, um an die Angorawolle zu kommen. Nach dieser Misshandlung verfallen die Kaninchen in eine Schockstarre. Die Tortur wiederholt sich alle drei Monate, wenn sie nicht vorher bereits durch den dauernden Stress an Herzversagen sterben.
Das Caregora Siegel basiert auf der Grundlage des Europäischen Standards für Tierhaltung (98/58EU Direktive der EU) und entspricht dem Animal Welfare Code des englischen Landwirtschaftsministeriums DEFRA. Eine unabhängige Zertifizierung gewährleistet, dass die Kaninchen artgerecht gehalten und nicht misshandelt werden.
GOTS und IVN BEST verbieten den Einsatz von Angora-Wolle vollständig.
Problemfeld Lederherstellung
Die globale Lederindustrie schlachtet jährlich über eine Milliarde Tiere und verarbeitet ihre Häute zu Bekleidung, Modeartikeln, Möbeln, Interieur und Accessoires. Das Geschäft mit dem Leder hat sich zu einem äußerst profitablen Industriezweig entwickelt. Viele Tiere, die nicht aus kontrolliert biologischer Tierhaltung stammen, sondern aus Intensivtierhaltung sind mannigfaltiger Quälerei ausgesetzt: überfüllte Ställe, Kastrationen ohne Betäubung, schmerzhafte Brandzeichen, ein qualvoller Transport und eine brutale Schlachtung. Während die meisten Leder oder Schaf-Felle zumindest Abfälle aus der Fleischindustrie sind, werden die Tiere für Edelfelle meistens extra gezüchtet – alles andere als artgerecht.
NATURLEDER IVN zertifiziert verbietet den Einsatz von Ledern, die von Tieren außerhalb der Fleischindustrie stammen. Der Anbauverband Biokreis bietet als einziges Siegel die Sicherheit, dass ein Leder von Bio-Tieren stammt.
Die nachhaltige Alternative – Tierschutz inklusive
Da in der ökologischen Tierhaltung auch der Umgang mit Tieren weltweit geregelt ist, kann man als Verbraucher darauf achten, dass die eingesetzte Wolle von Schafen aus kontrolliert biologischer Tierhaltung stammt.
Der Global Organic Textile Standard schreibt vor, dass die eingesetzten Fasern zu mindestens 70 %aus kontrolliert biologischer Landwirtschaft stammen müssen, NATURTEXTIL BEST verlangt 100 % Biofasern. Verbandszeichen wie Bioland, Naturland oder vor allem Demeter achten noch strenger auf das Wohl der Tiere.
Vegan contra ökologisch?
Über Sinn und Unsinn von veganen Textilien kann man sich trefflich streiten, zumindest aus dem Blickwinkel der Nachhaltigkeit. Man muss sich nämlich fragen, was man mit dem Verzicht auf tierische Fasern erreicht. Trotz des Vegan-Trends sind die Verbraucher, die tierfreie Kleidung kaufen, eine Nische in der Nische. Noch weniger Kunden sind darüber aufgeklärt, welche Textilien und Lederersatzprodukte wirklich konsequent vegan sind. Konsequenter Veganismus bedeutet ursprünglich, jedwede Schädigung der Tierwelt zu vermeiden, auch die durch negative Umwelteinflüsse. Das ist umso bedauerlicher, als dass es ja nicht um eine Entscheidung zwischen Tier- und Umweltschutz geht.
Der Verzicht auf tierische Fasern heißt, sich Alternativen zu suchen. Bei vielen Produkten kann man gut auf pflanzliche Fasern zurückgreifen, bei anderen jedoch nicht. Wärmende Outdoor-Bekleidung beispielsweise lässt sich nicht gut mit Baumwolle umsetzen, da ist dann der Griff zur Synthetikfaser notwendig. Auch bei Lederprodukten wird es schwierig, in ausreichender Menge Ersatz aus natürlichen Rohstoffen herzustellen.
Synthetikfasern und Kunstleder sind in der Regel nicht abbaubar und werden größtenteils aus nicht erneuerbaren Rohstoffen wie Erdöl und Erdgas hergestellt. Und nicht nur die Herstellung von Kunstfasern, sondern auch der konventionelle Anbau von Pflanzenfasern gehen stark zu Lasten der Umwelt. Deshalb halten wir den reinen Verzicht auf tierische Fasern für zu kurz gesprungen.
Unser Fazit: Sinnvoll abwägen
Die Erzeugung von tierischen Fasern, Leder und Fell ist in der konventionellen Bekleidungsindustrie mit viel Tierleid verbunden. Ein Umstand, der dem Trend, vegane Mode zu tragen und sie herzustellen, durchaus eine Berechtigung verschafft, denn die Umstände, unter denen Tiere für unsere Kleidung, Schuhe und Accessoires zu leiden haben, müssen sich ändern. Verbraucher sind mit ihrem Wunsch, tierfreie Produkte zu tragen, aber eher allein gelassen. Gesetzliche Definitionen oder Siegel, die darüber aufklären, dass ein Produkt über den Rohstoff hinaus wirklich vegan ist, gibt es nämlich in diesem Bereich nicht. So wissen die meisten Veganer auch nicht, dass auch ein Baumwoll-Shirt nicht unbedingt vegan ist und seine Produktion das Tierleben gefährden kann.
Aus der Sicht der Nachhaltigkeit ist es nicht sinnvoll, tierischen Fasern, Fellen und Leder durch erdölbasierte Kunststoffe zu ersetzen. Hinzu kommt, dass viele Tierarten längst ausgestorben wären, wenn der Mensch sie nicht domestiziert hätte und als Nutztiere halten würde. Für Verbraucher gibt es neben dem reinen Verzicht einen effektiveren Weg gegenüber der Modeindustrie zu demonstrieren, dass einem Tiere wichtig sind: Man kann „gute“ Textilien kaufen, die mit Zertifikaten ausgezeichnet sind, welche Tierquälerei verbieten, eine artgerechte Tierhaltung, den Transport und die Schlachtung regeln, eine ökologische Landwirtschaft vorschreiben und den Einsatz von solchen Chemikalien verbieten, die durch Tierversuche getestet sind. Produkte aktiv nach Tierschutzaspekten zu hinterfragen sorgt für Aufmerksamkeit und unterstützt diejenigen Hersteller, die alles richtig machen.
Ökologische Produkte finden Sie bei unseren Mitgliedern. NATURLEDER gibt es speziell bei Ecopell, pololo, deepmello und Sal de Mar und vegane Alternativen an Schuhen auch hier.